Vorwort
Deutschland befindet sich an einem Scheideweg. Jahrzehntelange Sparmaßnahmen haben die physische und soziale Infrastruktur des Landes ruiniert und die arbeitende Bevölkerung schwer getroffen. Die jüngsten Erhöhungen der Staatsausgaben haben die Auswirkungen der Pandemie kaum gemildert. Profitiert haben allein große Unternehmen. Das Wachstum stagniert seit mehreren Jahren, und während ich dieses Vorwort schreibe, sieht es danach aus, als sei die Wirtschaft 2024 sogar in die Rezession gerutscht. Und die extreme Rechte nutzt diese Lage aus, um Hass gegen Migranten und andere Gruppen zu schüren.
Was ist aus dem berühmten deutschen Wirtschaftswunder geworden?
Vor kaum zehn Jahren noch blickten Politiker in ganz Europa voller Bewunderung auf die starke und stabile deutsche Wirtschaft. Andere reiche Länder beneideten die Industrie für ihre erstaunlichen Produktivitätsraten und die guten Beziehungen zwischen Arbeitnehmern und Vorgesetzten. Nur wenige Nationen besaßen eine solche Stabilität wie Deutschland in der 16-jährigen Regierungszeit Angela Merkels. Oft war vom deutschen »Sonderweg« die Rede, meist mit positivem Unterton.
Doch die Eurokrise trieb den schwelenden Konflikt Deutschlands mit den südeuropäischen Staaten auf die Spitze. Deutsche Politiker nahmen für ihr Land finanzpolitische Rechtschaffenheit in Anspruch und kritisierten die Verschwendungssucht der sogenannten »PIIGS«, also der angeschlagenen Länder Portugal, Italien, Irland und Griechenland. Sie hielten ihnen Vorträge und zwangen ihnen eine rigide Sparpolitik auf. Würden diese Länder nur den Vorgaben der Troika aus Europäischer Zentralbank,EU-Kommission und Internationalem Währungsfonds gehorchen, so erklärten sie, dann würden auch diePIIGS eines Tages Wachstumsraten wie Deutschland erreichen.
Tatsächlich basierte das deutsche Wirtschaftswunder jedoch gar nicht auf Sparmaßnahmen, und die Schuldenkrise wurde auch nicht durch Verschwendungssucht verursacht. Vielmehr war beides auf die Einführung des Euros zurückzuführen, der die deutschen Exporte äußerst attraktiv machte, die Wettbewerbsfähigkeit des Südens hingegen schwächte, dessen Länder Deutschland technologisch hinterherhinkten. Den deutschen Politikern war das zweifellos bewusst, als sie ihren südlichen Nachbarn eine katastrophale Sparpolitik aufzwangen.
Heute ist die selbstgefällige Überlegenheit deutscher Spitzenpolitiker passé. Tatsächlich lässt sich die aktuelle Malaise zu großen Teilen mit der deutschen Sparversessenheit erklären. In den Jahren des Booms waren die Investitionen in die Wirtschaft erschreckend gering. Anstatt zu investieren, um künftigen Wohlstand zu sichern, zielte die politische Klasse auf Haushaltsüberschüsse, betört vom Sirenengesang der »Schwarzen Null«. Diese einseitige Fixierung auf Sparmaßnahmen wurde nur noch von den Politikern im Vereinigten Königreich übertroffen, die mit tiefen Einschnitten bei den öffentlichen Ausgaben die britische Wirtschaft lahmlegten.
Seit der Coronapandemie diskutiert Deutschland heftig über das angebliche Ende der Sparmaßnahmen. Als die Staatsausgaben jedoch stiegen, um die durch das Virus ausgelöste Katastrophe einzudämmen, hätte dies beinahe eine Verfassungskrise verursacht.
Das Funktionieren des Kapitalismus beruht auf einem ungehinderten Fluss von Waren, Dienstleistungen und Geld. Als diese Ströme in der Pandemie zu versiegen drohten, mussten die Regierungen handeln, um einen totalen wirtschaftlichen Kollaps zu verhindern und die Basis für künftiges Wachstum zu schaffen. Die Christdemokraten verklagten jedoch die Ampelkoalition wegen des Klimainvestitionsfonds, der im Rahmen des Konjunkturpakets zur Bekämpfung der Pandemie geschaffen wurde. 2023 entschied das Gericht schließlich, dass der 60 Milliarden Euro schwere Corona-Klimafonds verfassungswidrig sei, da er gegen die sogenannte »Schuldenbremse« verstoße, die 2009 unter Merkel im Grundgesetz verankert wurde. Letztlich brach die Regierung über dieser Frage auseinander.
Die Sparmaßnahmen sind tot. Es leben die Sparmaßnahmen!
Sowohl in Deutschland als auch in Großbritannien waren die Folgen jahrzehntelang niedriger oder sinkender Staatsausgaben verheerend. Nicht nur die arbeitende Bevölkerung litt unter den geringeren Ausgaben für öffentliche Dienstleistungen und soziale Sicherheit. Das Versäumnis, in künftigen Wohlstand zu investieren, gefährdete auch die Grundlagen des Wirtschaftswachstums. Die Produktivität ist eingebrochen, und die deutsche Infrastruktur befindet sich in einem desolaten Zustand, was erklärt, warum das Verkehrsnetz bei widrigem Wetter schnell zum Erliegen kommt.