Kapitel 1
Peter und der Penalty
»Hier ist das Erste Deutsche Fernsehen mit derTagesschau.« Das war der Satz, den alle erwarteten, die am Abend des 18. Februar 1992 ihren Fernseher einschalteten. 20 Uhr, die unumstößliche Zeit für die Lage der Welt. Bonn, Berlin, Washington, Moskau, Peking.
Doch um 20 Uhr ertönte im Ersten nicht die vertraute Fanfare, es kam kein Nachrichtensprecher ins Bild. Es lief: ein Eishockeyspiel.
Es waren Olympische Winterspiele im französischen Albertville. In der Eishalle von Méribel hatte um 17 Uhr das Viertelfinale zwischen Kanada und Deutschland begonnen. Bei normalem Verlauf hätte es um 19:30 Uhr zu Ende sein müssen. Eindeutiger konnte die Verteilung der Rollen nicht sein. Kanada als Mutterland des Eishockeys war der Favorit.
Doch das Spiel verlief nicht so, wie die seit Jahrzehnten festgefügte Hierarchie es vorsah. Die Deutschen lagen sogar einmal mit 2 : 1 in Führung, und nach 60 Minuten, der regulären Spielzeit, stand es 3 : 3. Bei einem Unentschieden gibt es eine Verlängerung von maximal zehn Minuten. Fällt ein Tor, ist das Match entschieden. Für den Sieger ist es der Sudden Victory, für den Verlierer der Sudden Death.
Es fiel kein Tor. Die Partie war netto 70 Minuten alt und brutto mit all den Pausen zur Eisaufbereitung und den Unterbrechungen bei drei Stunden angelangt. Zum ersten Mal in der Geschichte olympischer Eishockeyturniere ging es in ein Penaltyschießen. Es wurde 20 Uhr, und hier war das Erste Deutsche Fernsehen mit Eishockey live, weil die Sportfans es dem Sender nicht verziehen hätten, hätte er die Übertragung abgebrochen. Zudem musste das, was sich gerade an Dramatik auf dem Eis abspielte, doch auch für das vorrangig politisch interessierteTagesschau-Publikum von Interesse sein. Eine sich anbahnende Sporthistorie ist ebenfalls relevantes Tagesgeschehen.
In einem Penaltyschießen werden fünf Akteure pro Team benannt. Haben sie alle aufs Tor geschossen und steht auf der Ergebnistafel immer noch ein Remis, entscheidet der nächste Schuss. Nach fünf Durchgängen stand es 2 : 2.
Franz Reindl, früherer Nationalspieler, später im Deutschen Eishockey-Bund in verschiedenen Funktionen bis zum Präsidenten tätig, stand 1992 als Co-Trainer an der Bande. Chefcoach Dr. Luděk Bukač hatte ihm den Auftrag erteilt: »Teile die Schützen für das Penaltyschießen ein, wenn es dazu kommt.« Reindl erinnert sich: »Mit Peter hatte ich nur Blickkontakt. In seinen Augen leuchtete Selbstsicherheit. Es war keine Frage, dass wir ihn nominieren.«
Kanada gegen Deutschland, Penaltyschießen, die sechste Runde. Für Kanada trat an: Eric Lindros, 18 Jahre alt, er war schon als Teenager eine Berühmtheit. Lindros überwand den deutschen Goalie Helmut de Raaf. Das bedeutete: Deutschland musste nun treffen, der Peter musste treffen, Peter Draisaitl. Der mit seinen Augen gesprochen hatte: Ich will es, ich kann es.
Peter Draisaitl lief in hohem Tempo auf den kanadischen Keeper Sean Burke zu. Er wollte sich n