EINLEITUNG
Die Rosen des Heliogabalus
Bild 1:The Roses of Heliogabalus von Alma-Tadema
Die falsche Decke bewegte sich und die Rosenblätter begannen herabzufallen. Gab es für die Festgäste eine Vorwarnung – ein Klicken, das Surren eines Räderwerks oder vielleicht irgendeine Andeutung des jungen Kaisers? Angespannt waren sie auf jeden Fall. Elagabals Festmähler waren für ihre Überraschungen berüchtigt. Häufig waren es entwürdigende oder furchteinflößende. Die Liegen waren so präpariert, dass sie die Benutzer platt auf den Boden warfen. Wilde Tiere wurden zwischen den Tischen losgelassen. Das kaiserzeitliche Rom hatte eine mal erfreuliche, mal düstere Tradition, wonach Abendessen unter Scheindecken stattfanden. Ein Esszimmer in Neros Goldenem Haus besaß drehbare Paneele, durch die Parfüm und Blüten auf die Gäste herabregnen konnten. Unter der Herrschaft des Tiberius schlichen sich Denunzianten in den Zwischenraum zwischen eingebauter und echter Decke, um Senatoren zu belauschen, die der Wein und ihre vertrauenswürdigen Gefährten zu verräterischen Plaudereien verlockte.1
Wann merkten Elagabals Gäste, dass sie in Gefahr waren? Wie schnell wurde aus dem Geriesel der Blütenblätter eine Flut, die sie zu ersticken drohte? Wann begannen sie um sich zu schlagen, um ihr Leben zu kämpfen? Wann begriffen sie, dass sie sterben mussten?
The Roses of Heliogabalus von Sir Lawrence Alma-Tadema wurde erstmals 1888 in der Londoner Royal Academy ausgestellt.2 Auf dem Bild wirken alle merkwürdig ruhig. Elagabal in der Mitte der Empore, in goldene Gewänder gehüllt, schaut unbeteiligt zu. Sein Interesse scheint weniger geweckt als das der anderen, die in Sicherheit rund um den besten Tisch liegen: Sie beugen sich zumindest vor, um besser sehen zu können. Noch seltsamer sind die Reaktionen der Opfer unter ihnen. Zwei Frauen in der Mitte bewegen sich zwar, aber nur träge – eher so, als wollten sie sich in den Blumen aalen, als um dem Ersticken zu entgehen. Zwei weitere Frauen blicken den Betrachter an. Ihre Gesichter, alles andere als entsetzt, verraten nicht den Hauch eines Gefühls. Vielleicht dämmert ihnen die schreckliche Wahrheit noch nicht. Allerdings: Das kommt einem unwahrscheinlich vor, weil die Frau, die auf der linken Bildseite herausschaut, schon so tief begraben ist, dass ihr rosa Gesicht beinahe im Rosa der Blüten verschwunden ist. Eher soll man ihre Reaktionslosigkeit wohl als Endergebnis römischer Dekadenz verstehen. Sie sind allesamt so übersättigt mit Luxus und Sinnlichkeit, dass jede neue Erfahrung, selbst die Todesnähe, nichts als Langeweile auslöst – das überaus viktorianische Gefühl des Ennui.
Ganz egal, dassThe Roses of Heliogabalus komplett erfunden ist. Alma-Tadema hatte die Geschichte von einem spätantiken historischen Romancier. Die „Veilchen und anderen Blumen“ des Originals (HAHeliog. 21,5) machte er zu Rosen und ersetzte die mechanische Decke gleich noch durch einen Baldachin. Für Viktorianer standen Rosen für Sinnlichkeit und Verfall zugleich. Alma-Tadema, der stets obsessiv detailgenau war und in der Kälte eines englischen Novembers arbeiten musste, ließ sich für Unsummen Tausende frischer Blumen ins Atelier bringen – eine Extravaganz, die ganz nach seinem Thema riecht. Seine Quelle, der unbekannte Autor der alsHistoria Augusta bekannten Sammlung von Kaiserbiografien, hatte die Anekdote aus einem Festmahl Neros, das er bei Sueton beschrieben fand, ließ das Parfüm weg und fügte die Todesfolge hinzu. ÜberThe Roses of Heliogabalus gibt es viel zu sagen und wir werden im letzten Kapitel auf das Bild zurückkommen. (Vielleicht möchten Sie sich schon einmal die Ausstattung des Raumes und den Mann auf der rechten Seite mit der ausgefallenen Frisur ansehen – und eventuell auch die Landschaft.) Vorläufig genügt die Bemerkung, dass Alma-Tademas Gemälde, so sehr es eine komplizierte, vielschichtige Fiktion ist, perfekt die viktorianische Sicht auf die Dekadenz des kaiserzeitlichen Rom u