[13]Einführung
Mademoiselle Josephine Baker brach in lautes Lachen aus, als ich ihr bei unserem ersten Treffen – Ende des Jahres 1926 – den Vorschlag machte, ihre Memoiren zu schreiben.
Sie war gerade zwanzig Jahre alt geworden und bewohnte zwei große Zimmer in einer ruhigen Familienpension in der Nähe des Parc Monceau.
Zwölf Uhr mittags.
Josephine Baker schlief noch.
»Ach, das macht nichts«, sagte sie und hüpfte von einem kleinen Sofa. »Gut, dass Sie mich geweckt haben. Setzen Sie sich doch.«
Das alles auf Englisch, denn Mademoiselle Baker konnte noch kein Französisch, von ein paar Worten abgesehen, beispielsweise »Bonjour«, »Bonbon«, »pauvre oiseau«, »phonographe«, »coco« »Champs-Élysées«.
Sie trug einen rosafarbenen Morgenmantel und Pantöffelchen in derselben Farbe: Sie war hochgewachsen, schmal, biegsam, und sie lachte.
Sie sah aus wie ein kleines wildes Mädchen, schalkhaft und charmant, und wenn sie lachte, blitzten ihre 32 weißen, soliden Zähne; das geölte Haar trug sie hastig an den Schädel geklebt, die Nägel waren silberfarben lackiert.
»Memoiren … Aber ich erinnere mich noch gar nicht an meine Erinnerungen. Warten Sie mal …«
Ich wartete fünf Minuten auf den Dolmetscher, der sich verspätet hatte. Neben einer Büste von LudwigXIV. saßen Sittiche in einem Käfig. Auf einem Empiremöbel lag eine Stoffpuppe, die sich selbst mit dem Fuß einen Nasenstüber versetzte. Etwas entfernt, auf einem kleinen Tisch, stand ein spielbereites[14]Grammophon, darunter klemmte ein Bündel zerknüllter Hundert-Francs-Scheine.
»Paul Colin«, sagte sie, »hat mich gebeten, ein Vorwort für sein AlbumDans le tumulte noir zu schreiben. Das war lustig! Ich habe einen Stift genommen und Husch! Husch! schon war die zwei Seiten lange Geschichte auf dem weißen Papier fertig, aber das mach ich nicht noch mal, o nein!«
»Warum nicht?«
»Sie wissen ja nicht, wie das ist. Schreiben! Oh là là! Ich tanze, ich liebe nur den Tanz, ich werde mein ganzes Leben lang tanzen!«
Die schwarze Tänzerin schmiegte sich in einen Ledersessel, zog fröstelnd den Kopf zwischen die Schultern, schloss die Augen, schleuderte eines ihrer Pantöffelchen in die Luft und fing an zu lachen.
»Nein, wirklich, das ist ganz unmöglich. Wenn Sie möchten, kann ich Ihnen meine Erinnerungen erzählen, und Sie schreiben meine Memoiren, wäre das was?«
»Ja, das wäre was.«
»Na gut, also ich wurde an den Ufern des Mississippi geboren! O weh! Schauen Sie bloß, meine armen Vögel …«
Es klopfte an der Tür. Das Telefon klingelte. Die Sittiche stopften LudwigXIV. Kerne in die Nase.
*
Es ist so eine Sache mit Josephine Baker.
Sie hat ganz allmählich, auf erstaunliche Weise, die Varieté- und Theaterbühnen erobert, mit Tanz, Gesang, den Gesten, Haltungen und Verwechslungsspielen im grellen Scheinwerferlicht.
Die vorliegenden Memoiren wurden in der Absicht geschrieben, diese Entwicklungen zu bezeugen, sie entstanden allerdings in mehreren Teilen und in großen zeitlichen Abständen.
Zunächst die Anfangszeit Josephine Bakers, als Star in derRevue Nègre; damals sang sie noch nicht, sondern tanzte in[15]einem schlichten Bananenschurz. Dann, rund 20 oder 23 Jahre später, als das amerikanischegirl, inzwischen eineweltberühmte Chansonsängerin, Schauspielerin und Französin, dasAve Maria von Schubert sang oder Maria Stuart darstellte, in einem prächtigen Vertugado, einem Reifrock, unter dessen langer Schleppe sich leicht 50 kleine Schwarze hätten verstecken können, und sich, am oberen Absatz einer bombastischen Treppe, auf hinreißende Weise den Hals