: Josephine Baker, Marcel Sauvage
: »Tanzen, Singen, Freiheit«. Memoiren Die beeindruckende Lebensgeschichte der berühmtesten schwarzen Tänzerin und Sängerin
: Reclam Verlag
: 9783159623573
: 1
: CHF 20,40
:
: Biographien, Autobiographien
: German
: 250
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Die große Autobiographie der größten Tänzerin ihrer Zeit Josephine Baker schaffte es aus einfachsten Verhältnissen ganz nach oben und inspirierte mit ihrer Energie Generationen von Frauen - bis heute. Hier erzählt sie ihre Lebensgeschichte in ihrem ganz eigenen Stil - von der Kindheit in den amerikanischen Südstaaten, ihrem Aufstieg als Tänzerin und Sängerin, dem glamourösen Leben in Paris bis zu ihrem heldenhaften Einsatz gegen das NS-Regime im Zweiten Weltkrieg. Mit einem Vorwort ihres Adoptivsohns Jean-Claude Bouillon-Baker und einem Essay von Mona Horncastle. »Ich lüge nicht, ich mache das Beste aus meinem Leben.« Josephine Baker

Josephine Baker (1906-1975) wuchs in Missouri auf und begann ihre tänzerische Karriere in New York. 1924 ging sie nach Europa und wurde dort zur notorischsten Tänzerin und Sängerin der Goldenen Zwanziger. Im Zweiten Weltkrieg unterstützte sie die Résistance. Marcel Sauvage (1895-1988) war ein französischer Journalist und Schriftsteller. Jean-Claude Bouillon-Baker, geb. 1953, wurde von Josephine Baker adoptiert und arbeitet als Publizist. Mona Horncastle, geb. 1973, ist freischaffende Autorin und Kuratorin. Die von ihr mitgestaltete Ausstellung »Josephine Baker - Icon in Motion« war 2024 in der Neuen Nationalgalerie Berlin zu sehen. Elsbeth Ranke, geb. 1972, übersetzt aus dem Englischen und Französischen. 2004 erhielt sie den André-Gide-Preis für deutsch-französische Literaturübersetzungen. Sabine Reinhardus, geb. 1958, ist Übersetzerin aus dem Englischen, Französischen und Niederländischen. Für Reclam hat sie zuletzt Sanora Babb, Namen unbekannt, übersetzt.

[13]Einführung


Mademoiselle Josephine Baker brach in lautes Lachen aus, als ich ihr bei unserem ersten Treffen – Ende des Jahres 1926 – den Vorschlag machte, ihre Memoiren zu schreiben.

Sie war gerade zwanzig Jahre alt geworden und bewohnte zwei große Zimmer in einer ruhigen Familienpension in der Nähe des Parc Monceau.

Zwölf Uhr mittags.

Josephine Baker schlief noch.

»Ach, das macht nichts«, sagte sie und hüpfte von einem kleinen Sofa. »Gut, dass Sie mich geweckt haben. Setzen Sie sich doch.«

Das alles auf Englisch, denn Mademoiselle Baker konnte noch kein Französisch, von ein paar Worten abgesehen, beispielsweise »Bonjour«, »Bonbon«, »pauvre oiseau«, »phonographe«, »coco« »Champs-Élysées«.

Sie trug einen rosafarbenen Morgenmantel und Pantöffelchen in derselben Farbe: Sie war hochgewachsen, schmal, biegsam, und sie lachte.

Sie sah aus wie ein kleines wildes Mädchen, schalkhaft und charmant, und wenn sie lachte, blitzten ihre 32 weißen, soliden Zähne; das geölte Haar trug sie hastig an den Schädel geklebt, die Nägel waren silberfarben lackiert.

»Memoiren … Aber ich erinnere mich noch gar nicht an meine Erinnerungen. Warten Sie mal …«

Ich wartete fünf Minuten auf den Dolmetscher, der sich verspätet hatte. Neben einer Büste von LudwigXIV. saßen Sittiche in einem Käfig. Auf einem Empiremöbel lag eine Stoffpuppe, die sich selbst mit dem Fuß einen Nasenstüber versetzte. Etwas entfernt, auf einem kleinen Tisch, stand ein spielbereites[14]Grammophon, darunter klemmte ein Bündel zerknüllter Hundert-Francs-Scheine.

»Paul Colin«, sagte sie, »hat mich gebeten, ein Vorwort für sein AlbumDans le tumulte noir zu schreiben. Das war lustig! Ich habe einen Stift genommen und Husch! Husch! schon war die zwei Seiten lange Geschichte auf dem weißen Papier fertig, aber das mach ich nicht noch mal, o nein!«

»Warum nicht?«

»Sie wissen ja nicht, wie das ist. Schreiben! Oh là là! Ich tanze, ich liebe nur den Tanz, ich werde mein ganzes Leben lang tanzen!«

Die schwarze Tänzerin schmiegte sich in einen Ledersessel, zog fröstelnd den Kopf zwischen die Schultern, schloss die Augen, schleuderte eines ihrer Pantöffelchen in die Luft und fing an zu lachen.

»Nein, wirklich, das ist ganz unmöglich. Wenn Sie möchten, kann ich Ihnen meine Erinnerungen erzählen, und Sie schreiben meine Memoiren, wäre das was?«

»Ja, das wäre was.«

»Na gut, also ich wurde an den Ufern des Mississippi geboren! O weh! Schauen Sie bloß, meine armen Vögel …«

Es klopfte an der Tür. Das Telefon klingelte. Die Sittiche stopften LudwigXIV. Kerne in die Nase.

*

Es ist so eine Sache mit Josephine Baker.

Sie hat ganz allmählich, auf erstaunliche Weise, die Varieté- und Theaterbühnen erobert, mit Tanz, Gesang, den Gesten, Haltungen und Verwechslungsspielen im grellen Scheinwerferlicht.

Die vorliegenden Memoiren wurden in der Absicht geschrieben, diese Entwicklungen zu bezeugen, sie entstanden allerdings in mehreren Teilen und in großen zeitlichen Abständen.

Zunächst die Anfangszeit Josephine Bakers, als Star in derRevue Nègre; damals sang sie noch nicht, sondern tanzte in[15]einem schlichten Bananenschurz. Dann, rund 20 oder 23 Jahre später, als das amerikanischegirl, inzwischen eineweltberühmte Chansonsängerin, Schauspielerin und Französin, dasAve Maria von Schubert sang oder Maria Stuart darstellte, in einem prächtigen Vertugado, einem Reifrock, unter dessen langer Schleppe sich leicht 50 kleine Schwarze hätten verstecken können, und sich, am oberen Absatz einer bombastischen Treppe, auf hinreißende Weise den Hals