1. KAPITEL
Luz
Ich nehme das Schild mit der Aufschrift »Cerrado – geschlossene Gesellschaft« von der Tür und hänge es zurück an seinen Platz hinter der Theke. Hier herrscht auf dem Tresen noch das reinste Chaos: leere Flaschen, stapelweise dreckige Teller, halb volle Gläser, in denen vereinzelt Konfettischnipsel schwimmen. Die Party ist vorbei, es ist nach Mitternacht. Aber kann ich das echt alles so stehen lassen?
Du sollst den letzten Abend mit deinen Freunden nur genießen!
Ich spüre Tränen in mir aufsteigen. Mit der Abschiedsfeier haben meine Eltern mich total überrascht. Und ich kann es immer noch nicht glauben, dass sie dafür extra das Restaurant geschlossen haben. An einem Freitagabend, an dem wir normalerweise ausgebucht sind. Wir müssen gerade echt kämpfen, nicht nur mit den steigenden Kosten, uns fehlt an allen Ecken und Enden Personal. Und trotzdem haben sie es geschafft, die Party hinter meinem Rücken zu organisieren.
Ich wische mir über das Gesicht und schaue in den dunklen Gastraum. Auch wenn er jetzt leer ist und die Stühle auf den Tischen stehen, höre ich noch immer die vielen Stimmen, das ausgelassene Lachen, die lieben Wünsche.
»Genieß die Zeit, Luz!«
»Hab Spaß!«
»Rette Leben – aber vergiss uns nicht!«
Als ob das passieren könnte. Ich fange an, die Teller vorzuspülen, und horche dabei in mich hinein.
Freue ich mich auf Spanien? Ja!
Habe ich Schiss? Ja!
Werde ich das alles hier vermissen? Meine Familie, meine Freunde, das Restaurant? Auf jeden Fall!
Zwei Monate. Ich war noch nie so lange weg, schon gar nicht allein, und ich kenne in Cadilla außer meinem Onkel niemanden. Neue Leute – nicht gerade meine Stärke. Dafür darf ich das tun, was ich liebe: den ganzen Tag lang schwimmen. Und im Notfall Leben retten.
Mein Blick wandert zu dem riesigen Luftballon, der mit einem Band an einer Flasche Sonnencreme befestigt ist und über meinem Geschenketisch in der Luft schwebt. Auf dem Ballon prangt ein typischesBaywatch-Girl. Im roten Badeanzug und mit einem Surfbrett unter dem Arm rennt es über den Strand. Ein Geschenk von Javi. Von wem auch sonst? Lächelnd schüttele ich den Kopf. Das Mädchen könnte tatsächlich ich sein. Rotbraune lange Haare, dunkle Augen, ein schmales Gesicht – nur ist der Rest von ihr alles andere als schmal. Sie hat Kurven da, wo ich keine habe. Von der Figur her wäre ich eher das Brett.
»Ist die Party schon vorbei?«
Ruckartig fahre ich herum. »Mann, Javi! Wie kann man mit ’nem Rollstuhl nur so schleichen?«
»Reine Übungssache. Aber …« Mit hochgezogener Augenbraue schaut sich mein Bruder im Gastraum um. »Hast du etwa doch geputzt?«
»Ne! Also … das waren Leon und Max. Sie haben abgeräumt und die Stühle hochgestellt.« Dass ich währenddessen die ganze Zeit versucht habe, irgendwie das Konfetti vom Boden zu kratzen, verschweige ich lieber und stelle auch möglichst unauffällig das Wasser ab.
»War es denn noch gut?« Javi rollt weiter und nimmt sich eine Flasche Limo.
»Ja! Du hast aber nicht mehr viel verpasst.« Nach seinem Rückzug vorhin hat sich die Party so langsam aufgelöst. Wenn er geht, fehlt einfac