: Oliver Hilmes
: Ein Ende und ein Anfang Wie der Sommer 45 die Welt veränderte
: Siedler
: 9783641318086
: 1
: CHF 18.80
:
: Geschichte
: German
: 288
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Das Porträt des Sommers 1945, wie man es noch nie gelesen hat - ein packend erzähltes Geschichtspanorama
In diesem Sommer ist nichts mehr, wie es war: In den vier Monaten von Mai bis September 1945 bricht die alte Welt zusammen, und eine neue tut sich auf. Das verbrecherische 'Dritte Reich' ist am Ende, und eine Zeit der Freiheit, aber auch neuer Konflikte, nimmt ihren Anfang.

Wie erleben die Menschen diesen Sommer - Sieger wie Besiegte, Opfer wie Täter, Prominente wie Unbekannte? Die 'Großen Drei' bestimmen auf der Potsdamer Konferenz den Gang der Geschichte, und die Berliner Hausfrau Else Tietze bangt um das Leben ihres Sohnes. Der US-Soldat Klaus Mann spürt Nazi-Verbrecher auf, und in Berlin plant Billy Wilder eine Komödie über das Leben in den Ruinen. Cafés und Restaurants öffnen ihre Türen, und der Rotarmist Wassili Petrowitsch wird von deutschen Kindern um Brot angebettelt. In vielen Geschichten und Szenen, die von Berlin nach Tokio führen, von München nach Paris oder von Bayreuth nach Moskau, fängt Oliver Hilmes die einzigartige Atmosphäre dieser Zeit der Extreme ein: das große Glück und die Hoffnung der Befreiten, das Elend und die Trauer, die Ängste der Besiegten und die neue Freiheit.

Oliver Hilmes, 1971 geboren, wurde in Zeitgeschichte promoviert und arbeitet als Kurator für die Stiftung Berliner Philharmoniker. Seine Bücher über widersprüchliche und faszinierende Frauen 'Witwe im Wahn. Das Leben der Alma Mahler-Werfel' (2004) und 'Herrin des Hügels. Das Leben der Cosima Wagner' (2007) wurden zu großen Verkaufserfolgen. 2011 folgte 'Liszt. Biographie eines Superstars', danach 'Ludwig II. Der unzeitgemäße König' (2013) sowie 'Berlin 1936. Sechzehn Tage im August' (2016), das in viele Sprachen übersetzt und zum gefeierten Bestseller wurde. Zuletzt erschienen 'Das Verschwinden des Dr. Mühe. Eine Kriminalgeschichte aus dem Berlin der 30er Jahre' (2019) und 'Schattenzeit. Deutschland 1943: Alltag und Abgründe' (2023).

Truman lässt die Anwesenden zu Beginn wissen, dass er eine Erklärung verlesen werde, die noch bis neun Uhr streng vertraulich sei. Die Nachricht sei aber so kurz, dass die Vertreter der Presse danach genug Zeit hätten, ihre Meldungen zu schreiben. Die Reporter lachen. Truman scherzt, dass dies ein ganz besonderer Tag sei, denn er habe zudem Geburtstag. Er wird einundsechzig Jahre alt. »Happy Birthday, Mister President!«, ruft jemand im Saal. Dann ist es neun Uhr, und Truman beginnt mit seiner Ansprache: »Eine feierliche und glorreiche Stunde ist angebrochen. Ich wünschte nur, Präsident Franklin D. Roosevelt hätte diesen Tag erlebt. Von General Eisenhower ist die Meldung eingegangen, dass sich die deutschen Streitkräfte den vereinten Nationen ergeben haben. Über ganz Europa wehen die Banner der Freiheit.« Truman weist darauf hin, dass der Zweite Weltkrieg noch nicht überall zu Ende sei, da Japan und dieUSA noch immer in einen schrecklichen Krieg im Pazifik verwickelt seien. Er warnt die Japaner, dass die gesamte amerikanische Militärmaschinerie nun gegen sie gerichtet sein werde. Man habe erst die Hälfte des Kriegs hinter sich. Nach wenigen Minuten ist die Pressekonferenz beendet.

Während Harry S. Truman nun weitere Glückwünsche entgegennimmt, unzählige Hände schüttelt, eine üppige Geburtstagstorte in appetitliche Stücke schneidet, diese an seine engsten Mitarbeiter verteilt und irgendwann zu seiner Arbeit zurückkehrt, beginnen sich in New York bereits zahllose Menschen am Times Square zu versammeln, und Zehntausende marschieren in den nächsten Stunden die Fifth Avenue hinunter, während Konfetti auf sie herabregnet. Alles in allem sind gut 500.000 Menschen auf den Beinen. Es ist die mit Abstand größte Feier zum »Victory Day« in denUSA. Doch schon am Abend kehrt die Stadt zu ihrer üblichen Betriebsamkeit zurück. »Die Nachricht hatte gestern Abend kaum Auswirkungen auf die Theaterkassen«, weiß dieNew York Times am nächsten Tag zu berichten. »Die Ticketverkäufer sagten, dass sie einige Stornierungen von Reservierungen zu verzeichnen hatten, aber diese Plätze wurden sogleich von eifrigen Käufern ergattert.«

Wie lange hat Alfred Döblin auf diesen Tag gewartet! Und wie oft hat er sich das Ereignis in Gedanken ausgemalt? Dass die Erde sich öffnet, ein gigantischer Schlund entsteht und Adolf Hitler geradewegs zur Hölle fährt! Zwanzig Mal? Dreißig Mal? Oder noch häufiger? Döblin weiß es nicht. »Dass diese Bestie endlich daliegt, gut«, schreibt er Anfang Mai Freunden, »aber was hat sie angerichtet.« Rund sechzig Millionen Menschen sind gestorben, Soldaten wie Zivilisten. Neun Millionen Männer, Frauen und Kinder sind in den Konzentrations- und Vernichtungslagern ermordet worden, darunter sechs Millionen Juden. Weite Teile des europäischen Kontinents sind verwüstet, Deutschlands Städte gleichen Ruinenlandschaften.

In Los Angeles, wohin der Schriftsteller fünf Jahre zuvor emigriert war, notiert er: »Vielleicht ist in einigen Monaten das Exil zu Ende, – und was kommt nachher? Das Leben eine Serie von Abenteuern.«

Gut eine Woche nach Adolf Hitlers Selbstmord im Bunker der Reichskanzlei schwirren abenteuerliche Gerüchte durch Berlin. »Hitler sei in Japan, Spanien, sei in der Nähe von Hamburg gefallen, habe sich erschossen, sei im Kampf um die Reichskanzlei gefallen«, grübelt Else Tietze in ihrem Tagebuch. Eigentlich heißt sie Elisabeth Anna Henriette, doch solange sie denken kann, nennen sie alle nur Else. Sie weiß nicht recht, was sie von dem Gerede halten soll. »Wenn Gott ihn einen Soldatentod hätte sterben lassen, hätte er es sehr gut mit ihm gemacht. Dass der Mann Gutes wollte, glaube ich noch immer, aber er muss zuletzt wohl wahnsinnig gewesen sein.« Eine echte Nationalsozialistin sei sie ja nie gewesen, beteuert Frau Tietze, doch die Russen seien nun mal die Feinde. Wenn sie aber jetzt durch die Straßen der Reichshauptstadt geht, kommen ihr immer mehr Zweifel an Hitler. »Man hat fast das Gefühl, dass Hitler den Feinden nur ein ganz zerstörtes Berlin hinterlassen wollte und an die armen, unglücklichen Menschen gar nicht gedacht hat.«

Else Tietze ist Anfang siebzig und lebt in einer stat