Lebensraum Ozean
Schwerelos
Ihr Menschen scheint zur Fortbewegung stets einen festen Boden zu benötigen. Selbst auf dem Wasser da bringt Ihr ihn Euch mit. Bei uns verhält es sich ganz anders. Euch trägt die Erde, uns trägt der Ozean. So erleben wir Wale die Welt. Wir sind groß, aber wir fühlen uns nicht schwer. Das Gewicht behindert uns nicht, es löst sich gleichsam im Meer auf, wird freundlicherweise in Schwerelosigkeit verwandelt. Nur deswegen konnten wir überhaupt die gewaltige Körpermasse erreichen, die einige von uns haben. Ohne große Anstrengung gleiten wir durchs Wasser, drehen uns, kreisen, schlagen Haken, bewegen uns auf und ab tanzen! Nicht unbeholfen, sondern grazil und anmutig.
Schwerkraft spielt für uns keine große Rolle. Sie zieht uns nicht in die Tiefe. Im Gegenteil, uns treibt es nach oben, zur Wasseroberfläche. Sollten wir also vonLeichtkraft sprechen? Sicher, ab einer Tiefe von ein paar Körperlängen sinken wir von allein weiter nach unten. Doch können wir dieser Kraft ganz einfach widerstehen, mit ein paar Flukenschlägen geht es mühelos wieder nach oben.[1]
Nurüber der Wasseroberfläche wirkt die Schwerkraft auf uns. Kaum, dass wir unsere Körper mit Schwung gen Himmel werfen, fallen wir auch schon laut klatschend wieder zurück. Was für ein herrliches Gefühl! Ein wunderbares Spiel mit der Schwerkraft, ermöglicht durch die Leichtkraft.
Wir spüren unser Gewicht also ausschließlich über der Oberfläche: wenn wir ein Neugeborenes nach der Geburt dorthin stupsen. Wenn ein verletzter oder kranker Artgenosse Unterstützung benötigt und wir ihn über Wasser halten. Oder wenn wir spielen, etwa mit einem Stück Treibgut. Oder unsere Beute in die Luft schleudern. Und, tragischerweise, wenn wir stranden. Aber davon soll vorerst nicht die Rede sein
Was tun, wenn wir unser Gewicht spüren wollen? Springen!
Von Bewegung und Rhythmus
Das Leben im Meer bietet die Möglichkeit, sich frei in alle Richtungen zu bewegen. Auf, ab, nach rechts, links und alles dazwischen. Wir leben in einer drei-, vier-, multidimensionalen Welt. Die Fortbewegung in einem räumlich so offenen Feld ist der von Vögeln nicht unähnlich. Die gleiten durch die Luft wie wir durchs Wasser: Sie sind flink, flexibel und legen in kurzer Zeit große Strecken zurück. Vögel sind fast immer unterwegs. So ist das bei uns auch. Wir halten nur still, wenn wir ruhen. Oder wenn wir unsere berühmten Gesänge ertönen lassen: Dann stehen wir reglos im Wasser, sind ganz konzentriert, ganz Gesang. Abgesehen von diesen Ausnahmen sind wir Wale praktisch immer in Bewegung.
Unsere körperliche Gestalt entwickelte sich über Millionen von Jahren im Einklang mit dem Meer. Wir Wale und Delfine sind die Form gewordene größtmögliche Annäherung an das Element, welches uns umgibt. Unsere Art der Fortbewegung braucht wenig Energie, weil wir dem Wasser nur wenig Widerstand bieten.[2] Unsere Schwimmbewegungen sind gleichsam Schwingung, so fließend wie das Wasser: Wellen gehen durch unseren Körper. Wer im Wasser lebt, muss so werden wie Wasser. Die Form bestimmt die Bewegung. Das gilt für uns wie für alle anderen Wesen der Meere: Fische, Robben, Seekühe, Meeresschildkröten.
Unsere Bewegungen sind so fließend wie das Meer selbst
Wir leben nichtim Meer, wirsind das Meer. Das eine bedingt das andere. Das eine bewegt das andere.
Unsere Umwelt, wir wollen sie lieber unsereMitwelt nennen, ändert sich immerzu. Alles ist Bewegung, es herrscht ein Fließen ohnegleichen. Selbst die Meeresoberfläche als unsere wichtigste räumliche Bezugsfläche ist fast immer in Aufruhr. Nichts ist beständig: Temperatur, Färbung und Trübung des Wassers, sein Geschmack, sein Salzgehalt und die Schichtung, seine Strömungen und die Anwesenhei