: Margret Greiner
: 'In mir tobt und brodelt stets etwas Gefährliches' Das Leben der Elsa Asenijeff - 'Die weibliche Stimme der Lust' (FAZ)
: btb
: 9783641312701
: 1
: CHF 15.10
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: Biographien, Autobiographien
: German
: 320
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Elsa Asenijeff (1867-1941) stammte aus einer bürgerlichen Wiener Familie. Nach dem Tod des Vaters heiratete sie gezwungenermaßen einen ungeliebten, aber nicht unvermögenden Mann. Mit seiner Unterstützung beginnt sie als eine der ersten Frauen in Leipzig zu studieren: Philosophie und Psychologie. Daneben veröffentlicht sie Gedichte, Essays und Erzählungen. 1897 lernt sie den Künstler Max Klinger kennen - der Beginn einer leidenschaftlichen Beziehung. Das glamouröse Paar steht im Zentrum intellektueller und künstlerischer Zirkel. Asenijeff unterstützt die jungen expressionistischen Schriftsteller, unter ihnen Franz Werfel. Sie selbst feiert literarische Erfolge mit ihren Gedichten und Erzählungen um das Thema der weiblichen Selbstfindung und Selbstschöpfung. Sie fordert die Autonomie weiblichen Begehrens in Erotik und Sexualität. Doch als Max Klinger sie für eine 16-Jährige verließ, geriet sie in wirtschaftliche Not, wurde kurzzeitig verhaftet, als Querulantin, Männerfeindin, Verfasserin anstößiger Bücher an den Pranger gestellt, schließlich entmündigt. Sie verbrachte die letzten zwanzig Lebensjahre bis zu ihrem Tod 1941 in psychiatrischen Kliniken und Versorgungsanstalten. Mit ihrer ersten umfassenden Biografie gelingt es Margret Greiner, Elsa Asenijeff aus der Vergessenheit zu holen. Die Autorin lädt dazu ein, in das aufregende Leben dieser frühen Feministin einzutauchen.

Margret Greiner studierte Germanistik und Geschichte in Freiburg und München. Viele Jahre arbeitete sie als Lehrerin und Journalistin. In ihren erzählten Biografien hat sie sich immer wieder mit außergewöhnlichen Frauenleben beschäftigt, u.a.'Auf Freiheit zugeschnitten. Emilie Flöge: Modeschöpferin und Gefährtin Gustav Klimts', 'Margaret Stonborough-Wittgenstein. Grande Dame der Wiener Moderne', 'Mutig und stark alles erwarten. Elisabeth Erdman-Macke - Leben für die Kunst'. Margret Greiner lebt in München.

In die Fremde


Sie musste mit ihm nach Sofia ziehen, in eine Stadt und ein Land, die ihr fremd waren. Sie sprach kein einziges Wort seiner Sprache. Auch der Mann blieb ihr fremd. Aber sie war willens, eine gute Ehefrau zu werden.

Solange der Wille hielt.

Sofia war um die Wende zum 20. Jahrhundert eine Stadt mit 50 000 Einwohnern, tiefe Provinz im Vergleich zu Wien, aber eine Stadt im Aufbruch. Nach dem Krieg zwischen Russland und dem Osmanischen Reich war 1878 der Frieden von San Stefano geschlossen worden, den die Bulgaren als Befreiung von den Türken, als »Wiedergeburt« ihrer Nation nach fast fünfhundertjähriger Fremdherrschaft gefeiert hatten. Nach einer kurzen provisorischen Verwaltung durch Russland wurde Bulgarien ein unabhängiges, selbstregiertes Fürstentum, das aber nach den Vereinbarungen des Berliner Kongresses dem Osmanischen Reich lehnspflichtig blieb.

Es entstanden moderne öffentliche Bauten, ein großzügiges Regierungsviertel, Kirchen, Moscheen; ein neues Nationaltheater war geplant. Sofia prosperierte, und Ivan Nestoroff spielte in diesem Aufschwung eine gewichtige Rolle. Ingenieure und Architekten waren gesucht, wurden auch aus dem Ausland angeworben. Sein diplomatischer Status tat ein Übriges, um seiner jungen Frau ein repräsentatives Heim und eine Stellung in der Gesellschaft zu bieten.

In einer Gesellschaft, in der sie sich heimatlos fühlte: Sofia war tausend Kilometer von Wien entfernt, ihr kam es vor, als sei sie auf einem extraterrestrischen Kontinent gelandet, als Exotin beobachtet, belächelt und ausgegrenzt.

Am schlimmsten war das Erlernen der Sprache und der kyrillischen Schrift. Sie war sprachbegabt, aber das Bulgarische war eine Herausforderung, die anzunehmen sie ermüdete. Sie wusste auch, warum: Es fehlte ihr die rechte Motivation. Dabei hatte sie doch am Traualtar die ewiggültigen Worte gesprochen, ihrem Mann in Treue anzuhangen, bis dass der Tod sie scheide. Ivan sprach konsequent bulgarisch mit ihr, schrieb ihr Briefe in seiner Sprache. Dem Dienstpersonal konnte sie Befehle mit Handzeichen geben, mit Ivan konnte sie schweigen, aber auch nicht Tag und Nacht. Er besorgte ihr einen Sprachlehrer.

Wenn sie durch die Straßen der Stadt ging, an den vielen Baustellen vorbei, überfiel sie das Heimweh nach Wien wie der gewaltige Angriff eines osmanischen Heeres. Speere und Lanzen bohrten sich in ihre Brust. Ivans Verwandte schwärmten von der historischen Würde der Stadt – eine der ältesten Europas mit steinzeitlichen Wurzeln, als römische Siedlung unter dem Namen Serdica zu Ruhm gekommen –, es beeindruckte sie, ohne ihre Hoffnung zu stärken, in Sofia eine neue Heimat zu finden.

Vehement wehrte sie sich dagegen, Volkstümliches anzunehmen, fand die slawische Folklore einfach degoutant, bis sie eines Tages doch einmal einen üppigen farbigen Rock mit einer bestickten Schürze und eine weiße Bluse mit Puffärmeln anzog: Sie lachte laut auf, als sie sich im Spiegel sah, drehte sich auf hohen Stiefeletten im Kreis, kam sich vor wie einem Volkskundemuseum entsprungen – und gefiel sich. Unterstrich die übermütige Aufmachung nicht ihr dunkles Aussehen, die fülligen braunen Haare, die hohen Wangenknochen? Schaut her: Elsa, die slawische Hexe!

Ivan wusste nicht, ob sich seine Frau die neue Heimat anverwandeln wollte oder ob sie die bulgarische Tracht wie ein ironisches Zitat spazieren führte. Die Frauen in seinen Kreisen trugen keine Tracht, das war als bäuerisch verpönt. Aber Elsa hatte ihren eigenen Kopf, und darauf prangten jetzt Tücher oder Haarreife, mit Rosen aus Taft bestückt. Es war wohl nur eine vorübergehende Laune, vielleicht sogar eine boshafte.

Sie wurden oft eingeladen – in die allerbesten Häuser von hohen Beamten und hohen Militärs, von Ärzten und Juristen, von Adeligen. Adelig bin ich selbst, dachte Elsa, meine Großmutter Laura stammt von den Buresch von Greiffenbach ab. Ein Grafentitel imponiert mir überhaupt nicht.

Freundlich waren die Menschen auf der Straße und die sogenannten einfachen Leute, die Kleidermacherinnen, die Putzmacherinnen, die Hauskünstler, die die Räume verschönerten, Möbel bezogen