Es hängt alles zusammen
Die Ökonomin und Autorin Betiel Berhe hat, angelehnt an ein Zitat Audre Lordes, gesagt: »Ich bin nicht frei, solange noch ein anderer Mensch strukturelle Diskriminierung, Unterdrückung und Ausbeutung erfährt, auch wenn seine Gewalterfahrungen andere als meine sind.«3 Ja, es hängt alles miteinander zusammen. Wenn wir nachhaltig das System verändern wollen, brauchen wir nicht nur Geduld, sondern auch einen ganzheitlichen Blick. Ich kann nicht Rassismus bekämpfen ohne auch über Klassismus zu sprechen. Wen haben wir denn als sogenannte Gastarbeiter*innen eingeladen und waren dabei selten wirklich gastfreundlich? Ab wann ist man eigentlich kein Gast mehr? Oder ist der Name extra so gewählt, damit man auch wieder geht? Wer ist in unserem reichen Deutschland denn mehrheitlich arm und muss Jobs ausüben, die wir nicht erledigen wollen? Wer putzt unsere öffentlichen Toiletten und steht im Fastfoodrestaurant im Frittenfettduft?
Ebenso hängen Feminismus und Rassismus zusammen. Währendweiße europäische Frauen sich dafür einsetzten, arbeiten zu dürfen, haben Schwarze versklavte Frauen für ihre Freiheit gekämpft. Arbeiten mussten sie schon immer. Feminismus bedeutet in unterschiedlichen Kontexten etwas anderes. Daher muss er immer intersektional und in Verbindung mit anderen Diskriminierungsformen gedacht werden, sonst wird er seinem eigenen Anspruch, für mehr Gerechtigkeit zu sorgen, niemals gerecht. Feminismus muss die Perspektiven migrantisierter Frauen,Frauen of Color, behinderter Frauen, queerer Personen und der Arbeiterklasse immer mit in den Blick nehmen, sonst verliert er seinen eigenen Anspruch auf eine gerechtere Welt für alle.
Privates und Politisches, kleine und große Strukturen hängen zusammen, und vieles passiert gleichzeitig. In diesem Moment erfährt irgendwo ein Kind Rassismus und kann es nicht einordnen. Gleichzeitig wird eine Person mit Behinderung irgendwo sexuell missbraucht, während irgendwo eine Person an den Folgen der Klimakrise stirbt.
Wir haben in westlichen patriarchalen Kulturen gelernt, dass wir alles lösen, beherrschen und retten können. Daher denken wir oft, wenn wir so etwas hören, müssen wir es auch lösen. Das ist Quatsch. Und verhindert oft das Hinhören, weil es uns überfordert. Vielleicht hast du nämlich auch das Gefühl, du kannst gar nichts davon lösen und hörst daher lieber weg. Davon hat niemand etwas. Es ist zunächst wichtig, all diese Dinge nicht getrennt voneinander zu betrachten und so Stück für Stück zu verstehen. Wir können nicht alles gleichzeitig lösen. Es gibt auch gar nicht die eine Lösung für all das.
Feministische Disability-Studies-Theoretikerinnen wie Swantje Köbsell machen auf den engen Zusammenhang von ableistischer und patriarchaler Macht aufmerksam.4 Weiblichkeit und Behinderung gelten in einer männlich normierten Welt als doppelt minderwertig und schwach. Außerdem passe Behinderung nicht ins weibliche Schönheitsideal. Viele Frauen optimieren ihre Körper mit Diäten,OPs, Rasuren, Kuren und Anwendungen. All das ist vor allem für nicht behinderte Körper geschaffen, schreibt Rebecca Maskos in »Unlearn Patriarchy«2.5
Wenn es um die Auswirkungen der Klimakatastrophe geht, trifft es behinderte Menschen auch in unseren Breitengraden am heftigsten. Gehbehinderte und kleinwüchsige Menschen atmen eine höhere Dosis verschmutzter Luft ein, da Feinstaubpartikel zu Boden sinken – also genau auf die Höhe, in der diese Personen und Kinder atmen.6 Bei der Flutkatastrophe im Juli2021 im Ahrtal sind zwölf Menschen in einer Behinderteneinrichtung der Lebenshilfe in Sinzig ertrunken, weil sie nicht rechtzeitig evakuiert wurden.
Es ist interessant, dass bei manchen Themen gerne fadenscheinige Argumente von angeblicher Natürlichkeit genannt werden.
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Queerfeindlichkeit lebt von den Lügen der angeblichen Natürlichkeit von Beziehungen zwischen Mann und Frau. Und auch der Rassismus freut sich über die angeblich angeborenen rassistisch zugeschriebenen Eigenschaften. A