: Daniel Glattauer
: In einem Zug Roman
: DuMont Buchverlag
: 9783755810735
: 1
: CHF 16.90
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 208
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Eduard Brünhofer, ehemals gefeierter Autor von Liebesromanen, sitzt im Zug von Wien nach München. Nicht unbedingt in der Absicht, sich mit der Frau frühen mittleren Alters im Abteil zu unterhalten. Schon gar nicht in der Absicht, mit ihr über seine Bücher zu sinnieren. Erst recht nicht in der Absicht, über seine Ehejahre mit Gina zu reflektieren. Aber Therapeutin Catrin Meyr, die Langzeitbeziehungen absurd findet, ist unerbittlich. Sie will mit ihm über die Liebe reden. Dabei gerät der Schriftsteller gehörig in Zugzwang. »Was befähigt einen Autor, über die Liebe zu schreiben?«, fragt sie. »Ihre Frage ist klüger als jede Antwort darauf«, erwidere ich. »Danke. Probieren Sie es trotzdem.« »[W]ir haben so viel Spaß wie 2006 bei Daniel Glattauers Riesenerfolg>Gut gegen Nordwind<.« Elke Heidenreich, BUNTE »Einer der zauberhaftesten und klügsten Liebesdialoge der Gegenwartsliteratur« DER SPIEGEL über>Gut gegen Nordwind<

DANIEL GLATTAUER, geboren 1960 in Wien, war zwanzig Jahre Journalist beim Standard. Mit>Gut gegen Nordwind< (2006) gelang ihm der schriftstellerische Durchbruch. Es folgten weitere erfolgreiche Romane. Seine Bücher wurden in mehr als vierzig Sprachen übersetzt und verkauften sich weltweit millionenfach. Er verfasste zahlreiche Theaterstücke, die zu den meistgespielten im deutschsprachigen Raum gehören. Mit seinem Roman>Die spürst du nicht< (2023) stand er wochenlang auf der SPIEGEL-Bestsellerl

Wien-Hütteldorf

Schräg gegenüber sitzt eine Frau mittleren Alters. Eher frühen mittleren Alters. Mehr kann ich vorerst nicht über sie sagen. Ich bin keiner, der schräg gegenübersitzende Frauen im Zug taxiert, schon gar nicht mittleren, geschweige denn frühen mittleren Alters.

Kinder ja, die kann man stundenlang anglotzen, ob im Zug oder anderswo, die merken das gar nicht, und merken sie es, dann stört es sie nicht, sie sind es gewohnt. Erwachsene späten mittleren Alters, wie ich, blicken beim Beobachten von Kindern immer gern und oft verklärt in ihre eigene Kindheit zurück oder in die Kindheit ihrer Kinder, wenn sie welche haben. Und wenn es Kindeskinder gibt, versuchen sie, sich in ihnen zu erkennen, überhaupt, wenn sie gerade sehr stolz auf sie sind.

Oder sie sind von der anderen Sorte, zählen zu den Erwachsenen mit den bösen Blicken, gramgebeutelt bei jedem günstigen Anlass. Als solche prüfen und missbilligen sie jede Art von neuer, in Mode gekommener, verkommener Kindheit. Oft schütteln sie den Kopf und suchen Gleichgesinnte in ihrer Umgebung, die ebenso den Kopf schütteln und genauso denken: Was soll aus diesen Kindern werden? So etwas hätte es früher nie gegeben. Früher hätte man … Aber das darf man ja heute alles gar nicht mehr laut sagen.

Egal. Jedenfalls schauen Erwachsene, ob solche oder solche, jederzeit ungeniert hin, wo Kinder im Spiel sind.

Auch die sehr alten Leute lassen sich während einer Bahnfahrt ungehemmt begutachten. Die meisten von ihnen mögen und schätzen das, oft fühlen sie sich endlich wieder wahrgenommen. Man sollte ihnen aber schon gelegentlich aufmunternd zunicken. So quasi: Bravo, gut gemacht, wirklich alt geworden und noch immer wacker, wenn auch wackelig im Leben beziehungsweise hier im Zug.

Vorsicht aber. Wenn man bei sehr alten Mitmenschen zu lange hinschaut, besteht die Gefahr, dass Worte eintrudeln. Zuerst trudeln sie ein, dann prasseln sie auf einen ein, dann muss man sie abwehren. Und plötzlich ist man heillos in ein Gespräch verwickelt, aus dem man nicht mehr rauskommt.

Denn mit dem Alter potenziert sich die Mitteilungsbedürftigkeit. Da sollte man schon im Hinterkopf haben, wohin die Reise geht. In meinem Fall nach München. Wir befinden uns aber erst irgendwo zwischen Wien-Hütteldorf und Sankt Pölten. Das wären dann, würde es blöd laufen, gute vier Stunden Deckung der Mitteilungsbedürftigkeit eines sehr alten Gegenübers. Also bei so einer Ausgangslage wäre es ratsam, besser erst gar nicht hinzuschauen.

Egal. Schräg gegenüber sitzt eine Frau frühen mittleren Alters. Schräg gegenüber deshalb, weil sie einen Fensterplatz im offenen Viererabteil eingenommen und gleich den Mund verzogen hat, als ich dazugekommen bin und sich die Möglichkeit andeutete, ich könnte den Fensterplatz vis-à-vis beziehen, in Tuchfühlung zu ihr, Auge in Auge, Kniescheibe an Kniescheibe.

Kurzer Einschub: Ich hasse es, dazugesetzt zu werden. Und ich hasse es, wenn man mir wen dazusetzt. Zum Beispiel im Kaffeehaus.

»Entschuldigung, ist bei Ihnen noch ein Platz frei?«

»Ja, es sind sogar zwei Plätze frei, denn ich gehe«, würde ich darauf gern antworten.

Aber ich mache es eleganter. Ich antworte: »Ja natürlich, gerne.«

Zum Kellner: »Die Rechnung bitte.«

Einmal war ich mutig und antwortete: »Nein, leider nicht frei, es kommt noch wer.«

Der Geschasste hat dann gleich am Nebentisch Platz gefunden und mit mir geduldig darauf gewartet, dass meine angekündigte Begleitung endlich eintrifft. Erst hat er richtig mitgefiebert, in der Folge konnte er sich ni