1.
Das hier ist ein erstes Mal.
Hier und jetzt vor dem großen Badezimmerspiegel wird es Johanna bewusst.
Sie wischt sich mit einem ölgetränkten Wattepad über die Augen, kurz verschwimmt alles, sie blinzelt, dann werden Rosas Umrisse wieder klar.
Rosa benutzt ein winziges bisschen Rouge und beginnt dann, sich die Wimpern zu tuschen. Sie hält kurz inne, als sie Johannas Blick bemerkt. Eine fünfzehnjährige Tochter, die ihr Make-up für den Abend aufträgt – und ihre vierzigjährige Mutter, die das Gegenteil tut. Die beiden lächeln sich im Spiegel an, es ist eine ungewohnte Situation.
Es ist ein erstes Mal.
»Darf ich dein Deo benutzen?«
»Klar.«
Johanna beugt sich übers Waschbecken, wartet, bis das Wasser warm aus dem Hahn kommt, wäscht sich das Gesicht. Sie greift nach dem Handtuch und trocknet sich ab, langsam, so dass sie Rosa noch ein bisschen beobachten kann.
Ihre Tochter trägt Jeans und einen Kapuzenpullover, die blonden Haare hat sie zu einem Pferdeschwanz gebunden. Die Party findet im Volleyballverein statt, vielleicht werden die Mädchen vorher noch eine Runde spielen.
Als Rosa fertig ist, betrachtet sie sich lange und prüfend im Spiegel.
»Hübsch«, findet Johanna.
»Na ja.«
Ein Mädchen, das aussieht wie ein lebendig gewordener Instagram-Filter, und so kritisch mit sich selbst. Johanna schaut in ihr eigenes, abgeschminktes Gesicht im Spiegel und schnell wieder weg.
Als Rosa zwei Jahre alt war, hat Johanna ihr vor diesem Spiegel das Zähneputzen beigebracht, damals konnte man das Kind zu diesem Zweck noch ins Waschbecken setzen. Später die vielen Wochenenden, an denen ihre Tochter die Kinderschminke hervorholte und sie sich gegenseitig angemalt haben. Rosa und Johanna im Spiegel als Tiger, als Schmetterlinge, als Rehe.
Und dann die unzähligen Morgen vor der Schule, an denen sie hier hinter ihrer Tochter gestanden und Zöpfe geflochten hat.
Es muss auch Momente gegeben haben, in denen sie zu dritt vor dem Spiegel standen, aber Johanna kann sich an keinen von ihnen erinnern.
Als Johanna vor fünfzehn Jahren Mutter wurde, hat sie ziemlich schnell verstanden, dass man sehr oft weiß, wann man etwas zum ersten Mal tut, aber nur selten, wann zum letzten Mal.
Am Anfang hat es nur erste Male gegeben.
Das erste Mal eine Bewegung des Kindes im eigenen Bauch spüren. Das erste Mal einen winzigen, frisch gewaschenen Babybody auf die Wäscheleine hängen. Das erste Mal das kleine Bündel in einen Kinderwagen legen und sich rauswagen.
Zwei Wochen nach Rosas Geburt war Johanna das erste Mal mit ihr im Kinderwagen nach draußen gegangen. Sie war mit dem Wagen ziellos durch die Straßen gewandert und hatte sich gewundert. Das war jetzt also sie, eine Mutter mit Kind – und anscheinend dachten alle Menschen, die an ihr vorbeigingen, das sei eine völlig normale Sache. Niemand hielt sie an und fragte, ob sie einen Führerschein für Mutterschaft gemacht habe oder ob in dem Wagen auch wirklich ein Kind liege und keine Puppe. Am seltsamsten aber war es, wenn Johanna anderen Frauen mit Kinderwagen begegnete. Dann musste sie – zumindest in der Anfangszeit – das starke Bedürfnis unterdrücken, im Vorbeigehen die Hand zu heben, um der anderen ein Hi