Wir alle kennen sicher Situationen wie die folgende: Wir stehen nachts auf und gehen durch die Wohnung, und da wir den Weg vom Schlafzimmer zur Küche gut kennen, verzichten wir darauf, das Licht anzumachen. Dann stoßen wir plötzlich an. Hier steht doch sonst nichts! Das Abtasten mit den Händen bestätigt unsere Vermutung: Da hat jemand den Stuhl an einer Stelle stehen lassen, wo er nicht hingehört. Wir stellen ihn an den richtigen Platz, damit wir nicht noch einmal dagegen laufen. Hätten wir einen anderen Weg genommen, dann hätten wir den Stuhl nicht bemerkt. So aber hat uns der Zusammenstoß eine Wahrnehmung des Stuhls verschafft. Doch nicht nur das. Wir haben durch das Anstoßen auch eine Wahrnehmung der Stelle unseres Körpers, an der uns der Stuhl getroffen hat. So ist es bei jeder Tastwahrnehmung:11 Berühren wir mit der Hand einen Gegenstand, dann nehmen wir an ihm glatte oder raue Oberfläche wahr, Härte oder Nachgiebigkeit, Wölbungen, Kanten und vieles mehr. Gleichzeitig haben wir immer die Wahrnehmung der Stelle unseres Körpers, mit der wir den Gegenstand berühren oder abtasten. Jede Tastwahrnehmung an Dingen der Welt ist also immer zugleich eine Eigenwahrnehmung. Und diese Seite des Tastens ist es, die uns jetzt beschäftigen wird, wenn wir den Tastsinn als Körpersinn betrachten. Die andere Seite werden wir bei Behandlung der Weltsinne genauer untersuchen.
Unsere Haut ist das Organ des Tastsinns. An jeder Stelle sind Tastwahrnehmungen möglich. Dabei unterscheidet sich die Sensibilität verschiedener Hautpartien sehr stark. Es gibt Stellen, da befinden sich auf einem Quadratzentimeter etwa 135 Tastrezeptoren, wie auf der Zungenspitze, den Fingerspitzen oder den Lippen, wo wir besonders sensibel sind. An anderen, weniger sensiblen Stellen, zum Beispiel am Rücken, sind es nur sieben.12 Außerdem gibt es in der Haut verschiedene Rezeptoren mit ganz unterschiedlichen Aufgaben.13 Jedes Haar beispielsweise ist an der Wurzel von einem Nerv umgeben (Haarbalgrezeptor). Er reagiert auf die Berührung des Haares und registriert jede Ablenkung. Dicht unter der Hautoberfläche befinden sich Rezeptoren (Merkelzellen), die auf Druck und Verformung reagieren. Etwas tiefer liegen Rezeptoren (Meißnersche Körperchen), die auf Berühren und leichtes Antippen sensibel sind, darunter andere, die eine Dehnung und Verformung der Haut registrieren (Ruffini-Körperchen), zuunterst solche, die auf Vibration ansprechen (Paccini-Körperchen). Durch diese Rezeptoren werden alle Formen des Hautkontaktes registriert. Zusammen bilden sie das Organ des Tastsinns.
Wir haben ständig Tastwahrnehmungen im Leben. Ob wir stehen, sitzen oder liegen, immer nehmen wir die Berührung mit dem Untergrund wahr, der uns trägt. Im Wasser nehmen wir die Berührung mit dem Wasser, in der Luft die Berührung mit diesem Medium wahr. Wir spüren die Kleidung auf der Haut, jede Berührung mit einem Gegenstand oder einem anderen Menschen, gleichgültig ob die Aktivität von uns oder vom anderen ausgeht. Wir nehmen natürlich auch wahr, wenn wir uns selbst berühren. Berührungen können uns wecken. So erwachen wir zum Beispiel an einer Falte im Bettlaken oder weil uns jemand anfasst. Und wir können uns durch eigene Berührung wach halten. Jeder von uns hat hier vielfältige Erfahrungen. Es gibt, das gilt