Tag 1
Montag
Eine leichte Brise streichelt die scharfkantigen Halme der Gräser. Glänzende Tropfen eines heftigen sommerlichen Regengusses hängen an ihnen und reflektieren die Sonne. Dort, wo die Wiesenkräuter dichter werden, ertönt ein feines Zirpen. Ich schreite am Rand des Asphaltstreifens entlang, genau da, wo er bereits brüchig geworden ist und Schlaglöcher aufweist. Bekanntermaßen findet man hier die besten Happen. Zumindest, wenn die Straße stark befahren ist. In diesem Fall bleiben oft tote Kaninchen, Vögel und Mäuse hinter den stinkenden Blechkisten zurück. Gelegentlich ist es auch ein Fuchs, Marder oder Igel. Ein wahrer Festschmaus für einen wie mich. Diese Straße hier erscheint mir allerdings lebloser als die Tierleichen. Hätte es nicht geregnet, dass ich mir nun den Magen mit Würmern und Schnecken füllen kann, wäre ich jetzt bei Weitem nicht derart guter Laune.
Von meinem Schwarm habe ich mich abgesetzt. Keine Ahnung, wo sich die Radaubrüder gerade aufhalten. Bestimmt sind die bloß wieder auf dem Weg in irgendeine Ortschaft, wo sie von hohen Bäumen heraus, die darunter geparkten Autos vollscheißen können. Für eine gewisse Zeit ist das einigermaßen spaßig, doch auf Dauer langweilt es mich. Schließlich bin ich jung, unternehmungslustig und suche das Abenteuer. In einem Haufen Müll, der am Wegesrand liegt, glaube ich, es gefunden zu haben. Neugierig picke ich zwischen Plastik und Blechresten herum und werde wirklich in einer durchweichten Pappschachtel fündig. Ein Stück Pizza verschwindet in meinem Schnabel.
Ah ja! Ich habe mich noch gar nicht vorgestellt und sollte das unbedingt schnell nachholen. Ich gehöre zur Gattung Corvus aus der Familie der Corvidae, der Rabenvögel. Genauer gesagt zähle ich zu den Unterarten der Aaskrähen und bin eine pechschwarze Rabenkrähe, deren prachtvolle Federn im Licht einen bläulichen Glanz annehmen. Corvus corone corone. Ziemlich leicht zu merken. Einen Namen habe ich nicht. Bei uns im Schwarm herrscht das „Du da!“ – Prinzip, damit kann man nicht viel falsch machen.
Du da, verpiss dich, das ist mein Wurm! oderDu da, flatter ab! Das ist nämlich mein Ast! Du da, lass uns darauf scheißen! Ist kükenleicht, nicht wahr?
Oh!
Da ist eine herrlich fette Nacktschnecke!
Eifrig hüpfe ich zu einem gelben Netz aus Nylonfäden, schiebe mich geschickt unter die Maschen und erwische die Schnecke, kurz bevor sie in eine Lücke zwischen dem vielen Müll kriechen und verschwinden kann. Köstlich, köstlich. Sorgfältig schaue ich nach, ob sie vielleicht ihre Famil