Einleitung
Vor dem Essen wurde in meiner katholischen Grundschule immer gebetet. Als ich auf die Sekundarschule wechselte, wollte ich unbedingt auf eine »normale« Schule gehen, weil ich sie mir toleranter, voller gleichgesinnter Mitschüler:innen ausmalte. Leider war genau das Gegenteil der Fall. Es dauerte nicht lange, da wurde ich von Schlägertypen in Flurecken gedrängt und übel beschimpft. Vor allem mein Aussehen sorgte für reichlich Häme, denn mein moppeliges Gesicht verriet meine Liebe fürs Essen. Meine Rettung fand ich in der Küche, in der ich mich in meiner gesamten Freizeit verkroch, wo ich Trost suchte und meinen Kummer vergessen wollte. Sie war mein Heiligtum und Kochen mein Gebet. Ich merkte, dass man in der Küche volle Kontrolle und Handlungsfreiheit hat und beim Kochen sehr schnell Ergebnisse sieht. Von polnischen Gerichten hielt ich mich allerdings fern. Ich kochte gerne gesündere Sachen, um damit umzugehen, wie ich mich mit meinem Körper fühlte. Ich experimentierte mit unterschiedlichen Zubereitungsarten wie Dämpfen und wurde ein großer Fan von gedünstetem Brokkoli mit Tahinisauce und Chiliflocken. Beim Braten und Backen mochte ich das sanfte Knistern der Zucchinischeiben unter geriebenem Parmesan und Thymian. Auf der Suche nach neuen Geschmacksrichtungen jenseits der polnischen Küche, die mich geprägt hatte, schmökerte ich mit Begeisterung in Kochbüchern wie denen von Yotam Ottolenghi und las Food-Blogs und Zeitschriften wie den »Saveur«. Ich wollte weg von den typischen polnischen Gerichten meiner Kindheit, weg von Bigos mit Wurst, gebratenen Piroggen oderżurek, einer Suppe, die so sauer ist, dass die Geschmacksnerven einen Schock bekommen. Für mich bestand zwischen diesen Gerichten und den Schulschlägern, die sich »Nationalisten« nannten, eine schmerzhafte Verbindung. Sie vertraten die fremdenfeindliche Auffassung, die Nation gegen Einwanderer verteidigen zu müssen, die ihrer Meinung nach die polnische Kultur zerstören wollten. Alles, was ihrem Verständnis vom »reinem Polnischsein« entsprach, lobten sie in den höchsten Tönen – und dazu gehörte auch unser Essen.
Also verleugnete ich lange mein »Polnischsein«, weil ich mich dafür schämte. Aus mir wurde ein guter Koch, der sich jedoch von polnischem Essen und seinen typischen Aromen fernhielt. So konnte ich monatelang an einem Rezept für das perfekte Pad Thai tüfteln und mich wochenlang mit der Zubereitung des besten Käsekuchens beschäftigen. Doch dabei nahm ich bewusst nur Frischkäse, Ricotta oder Mascarpone, denn der herbe, leicht bittere Geschmack des polnischen Twaróg war mir zuwider, erinnerte er mich doch an die »geheiligten Lebensmittel« der Typen, die mich gemobbt hatten.
Ich weiß nicht mehr, wann genau sich das änderte, aber als ich mein erstes Kochbuch schreiben durfte, war mir sein Thema sofort klar: Ich wollte der Welt zeigen, dass die polnische Küche nicht so fleischlastig wie ihr Klischee sein muss, denn zu ihr gehören seit jeher viele vegetarische Köstlichkeiten. Das Buch »Polen vegetarisch« war für mich ein Heilungsprozess und ein Befreiungsschlag, eine Art Bekenntnis zu meiner kulinarischen Herkunft. Ich besann mich auf die Erinnerungen meiner Kindheit – auf die Aromen, die ich früher so sehr gemocht hatte. Ich schaute meiner Oma stundenlang beim Kochen zu und besprach