1. Einleitung
Seit einiger Zeit werden die alten Organisationen der ArbeiterInnenbewegung in Frage gestellt. So nahm der renommierte Sozialphilosoph und Journalist André Gorz 1980AbschiedvomProletariat; drei Jahre später sprach der Historiker Erhard LucasVomScheiternderdeutschenArbeiterbewegung. Weitere vier Jahre später bemerkte die prominente deutsche Historikerin Helga Grebing über ihre eigene Partei, dieSPD: »Sie ist inzwischen fast noch nicht einmal mehr eine ›interklassistische Volkspartei‹ (wie die französische Sozialistische Partei), geschweige denn eine Arbeiterpartei, was heißen soll: eine Partei der Arbeiterbewegung.« Und 1990 sprach der linke Politologe Denis Berger vom »Ende einer Ära«.1
Im vorliegenden Band möchte ich diese Entwicklung näher beleuchten. Dabei beschränke ich mich auf das, was ich die »klassische« ArbeiterInnenbewegung nenne, d. h. die ArbeiterInnenorganisationen und -aktionen, die etwa zwischen der Mitte des 19. und der Mitte des 20. Jahrhunderts entstanden sind. Ich befasse mich insbesondere mit den Geschicken und Aktivitäten von anarchistischen und syndikalistischen Organisationen, sozialdemokratischen und kommunistischen Parteien und Gewerkschaften. Den kommunistischen Parteien widme ich nur Aufmerksamkeit, solange sie (noch) nicht die volle Staatsmacht errungen und damit ihren Bewegungscharakter endgültig verloren haben. Christlich-demokratische und sozial-liberale Bewegungen lasse ich überwiegend außen vor.
Der Niedergang, von dem verschiedene Kommentatoren sprechen, scheint unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg eingesetzt zu haben. Der Historiker Eric Hobsbawm stellte fest: »Seit Anfang der 1950er Jahre wurde deutlich, dass die sozialistischen Arbeiterparteien in den meisten Teilen der Welt, wo sie eine Massenbasis erworben hatten, nicht mehr auf dem Vormarsch waren, sondern, wenn überhaupt, eher an Boden verloren, sei es in ihrer sozialdemokratischen oder kommunistischen Form.«2
Die große Mehrheit der klassischen ArbeiterInnen- und sozialistischen Bewegungen befindet sich in Schwierigkeiten. Die drei Hauptformen der organisierten ArbeiterInnenbewegung zeigen dies. An erster Stelle stehen die Konsumgenossenschaften. Sie gehen auf das 18. Jahrhundert zurück und erlebten ihre Blütezeit in der Zwischenkriegszeit und in der ersten Zeit danach. Die darauffolgenden Herausforderungen (das Aufkommen von Supermärkten und Handelsketten sowie ein verändertes Verbraucherverhalten) erforderten drastische Veränderungen, die die interne Demokratie der meisten Unternehmen untergruben. Eine aktuelle Analyse kommt zu dem Schluss:
»Dort, wo Genossenschaften fusionierten, um Standardisierung und Größenvorteile zu erzielen, distanzierten sich die Mitglieder durch den größeren Umfang der Genossenschaften vom allgemeinen Management, […] wodurch ihre demokratische Anziehungskraft geschwächt wurde. Im Gegensatz dazu waren Bewegungen, die eine stark dezentralisierte lokale Autonomie aufrechterhielten, […] nicht in der Lage, die notwendige Kapitalisierung vorzunehmen, um dem Wettbewerb mit den großen, nicht-genossenschaftlichen Einzelhandelsketten standzuhalten.«3
In Großbritannien, nach Meinung vieler das Mutterland der modernen Verbrauchergenossenschaften, ist die Zahl der Organisationen