1. KAPITEL
Antonio Chatsfield vermittelte der vollbusigen Brünetten am Bartresen die knappe Botschaft nonverbal und unmissverständlich:Nicht interessiert.
Alles an der aufgetakelten Beauty, die ihn aus kohlschwarz geschminkten Augen herausfordernd fixierte, strapazierte seine angegriffenen Nerven. Sie war zu vordergründig, zu sehr von sich überzeugt, dazu noch übertrieben aufgestylt … wie alles hier.
Um seinen Mund spielte ein zynisches Lächeln, während er das dekadent luxuriöse Bar-Ambiente des Flagship-Hotels begutachtete, das seiner Familie gehörte. Nichts, was Antonio in den letzten zehn, zwölf Jahren zu sehen bekommen hatte, konnte man hiermit vergleichen. Alles war von Chaos, Panik, Leiden und Tod geprägt gewesen.
Doch daran wollte er nicht zurückdenken.Nicht jetzt!
Schließlich war er gerade wegen der dunklen Ecken und des gedämpften Lichts hierhergekommen, anstatt sich in der einsamen Hotelsuite zu betrinken, die er vorübergehend sein Heim nannte. Antonio lächelte grimmig. Was für ein Fortschritt, dass er nicht länger darauf bestand, sich in einem selbst gewählten Exil zu betäuben, sondern in Gegenwart anderer. Sein Therapeut wäre zweifellos stolz auf ihn!
Was andere als selbstverständlich ansahen, war für ihn ein großer Schritt und hatte ihn einige Kämpfe gekostet. Und schon fühlte er das vertraute Frösteln und Prickeln auf der empfindlichen Haut, das ihn nie ganz verließ, ebenso wie das Krampfen in der Magengegend. Dazu reichte ein unerwartetes Hundegebell oder ein anderes, lautes Geräusch, und er war wieder gefangen im Terror seiner verheerenden Erinnerungen.
Doch leider hatte der vorsorgliche doppelte Whisky heute Abend nicht den gewünschten Effekt. Es war, als würde die essigsaure Bitterkeit in seinem Innern die erhoffte Wirkung einfach wegätzen. Selbst die Frau am Tresen verlor das Interesse an ihm und wandte sich einem Gast zu, der gerade die Bar betreten hatte. Antonio sah, wie sie beziehungsvolle Blicke tauschten, bevor der Neuankömmling dem Barkeeper einen Wink gab, der Dame einen weiteren Cocktail zu kredenzen.
Mental prostete Antonio den beiden zu, hatte er doch zu anderen Zeiten etliche Situationen wie diese erlebt und genossen. Momentan jedoch hatte er dafür keinen Sinn. Trotzdem spürte er ein unangenehmes Ziehen im Unterleib, etwas, das er lange nicht gefühlt hatte, da er es vorzog, sich rund um die Uhr zu betäuben, mit harter Arbeit oder Extremsport.
Nach langen Jahren im Exil, unterbrochen von gelegentlichen Trips in seine Heimat, war er erst seit wenigen Monaten zurück in London. Und das auch nur, weil seine Familie in einer ernsthaften Krise steckte. Was seinen Vater dazu veranlasst hatte, Christos Giantrakos als CEO an die Spitze des Familienunternehmens zu setzen – einer weltweiten Kette von Luxushotels, denen seit 1920 ein undefinierbarer Hauch von Exklusivität und Glamour anhaftete.
Doch der Stern der noblen Luxusherbergen befand sich seit Langem im Sinkflug. Gerade in den letzten Jahren war der ehemalige Glanz durch Antonios jüngere Geschwister noch zusätzlich angekratzt worden – durch eine Reihe von Skandalen, in denen einer den anderen förmlich zu übertreffen versuchte. Mit Ausnahme seiner Schwester Lucilla, die ihn um Hilfe gebeten hatte, da sie sich absolut überfordert fühlte.
Auch er hatte sich in jungen Jahren nicht gerade durch Diskretion und Feingefühl hervorgetan und war von zu Hause geflüchtet, als seine jüngeren Geschwister an der Schwelle zum Flegelalter standen. Deshalb stand es ihm kaum zu, sie zu verurteilen.
Antonio hatte der Familie und den dazugehörigen Pflichten schon vor langer Zeit den Rücken gekehrt und beabsichtigte nicht, die Zügel erneut in die Hand zu nehmen. Schon gar nicht, wenn Giantrakos darauf spekulierte, seine Erfahrungen aus Militärzeit und Business für sich zu nutzen, um das angeschlagene Image der Chatsfield Hotels wieder aufzupolieren und seine ehrgeizigen Expansionspläne voranzutreiben.
Doch Lucilla, die ihm von allen Familienmitgliedern nicht nur im Alter am nächsten stand, hatte ihn förmlich angefleht, sie dabei zu unterstützen, den arroganten Griechen möglichst vom Thron zu stoßen. Und da ihn schon lange das schlechte Gewissen plagte, weil er sie damals mit den jüngeren Geschwistern allein gelassen hatte, saß er jetzt hier in der Bar des Chatsfields London und brütete vor sich hin …
Lucilla hatte es geschickt angefangen, indem sie ihn nicht nur bei seiner Familienehre, sondern seinem sportlichen und beruflichen Ehrgeiz packte. Ihre Idee war die feindliche Übernahme eines Konkurrenzunternehmens – derKennedy Group . So woll