: Wolfgang W. Müller
: Musik der Engel Eine Kulturgeschichte
: Schwabe Verlag (Basel)
: 9783796551291
: 1
: CHF 20.40
:
: Religion/Theologie
: German
: 263
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Wo von Engeln gesprochen wird, ist von Musik die Rede. Das Motiv zieht sich durch die Musikgeschichte und durch alle Gattungen. Volkslied, Choral, Chanson, Oper, Operette und große Kompositionen für Chor und Orchester - sie alle kennen den Gesang der himmlischen Heerscharen. Warum singen und musizieren Engel? Diese Frage erscheint umso relevanter, vergegenwärtigt man sich das grosse Interesse moderner Gesellschaften am religiösen Phänomen der Engel. Bei aller religionswissenschaftlichen Beschäftigung mit der Funktion des Engel-Booms bleiben jedoch Leerstellen: Ausgeklammert ist neben dem Motiv der musizierenden Engel der interreligiöse Aspekt der Engelsmusik. Anhand von ausgewählten Themenkreisen und Musikbeispielen zeigt Wolfgang W. Müller, welche Bedeutung und Funktion das Bild der musizierenden Engel für das religiöse Bewusstsein und für das Verständnis von Musik hat. Unter religionsphilosophischer, theologischer, interreligiöser und musikalischer Perspektive geht er der Gestalt der singenden Engel kenntnisreich auf den Grund.

Wolfgang W. Müller ist emeritierter Professor für Dogmatik und war bis 2021 Leiter des Ökumenischen Instituts an der Theologischen Fakultät der Universität Luzern. Er ist Herausgeber der Reihe Text und Normativität (TeNOR) und hat zahlreiche Publikationen zu Theologie und Musik veröffentlicht.

3. Das Motiv der Sphärenmusik


Der Diskurs über die Existenz und Wirkweise der Engel ist kein Sondergut christlicher Theologie und auch nicht auf die drei monotheistischen Religionen beschränkt. Die vorchristliche Rede von Engeln als Boten und Zwischenwesen, wie sie in antiken Kosmologien und Theologien zu finden ist, steht in Verbindung mit der Vorstellung einer kosmischen Harmonie. Diese manifestiert sich im Modell der Sphärenmusik und war im antiken Weltbild weitverbreitet.

Ein Nachhall dieser Vorstellung liest man noch in Goethes «Faust. Eine Tragödie» (1808). Der Erzengel Raphael singt in der Szene «Prolog im Himmel»:

«Die Sonne tönt nach alter Weise / in Brudersphären Wettgesang / und ihre vorgeschriebene Reise / vollendet sie mit Donnergang. // Ihr Anblick gibt den Engeln Stärke, / wenn keiner sie ergründen mag: / die unbegreiflich hohen Werke / sind herrlich wie am ersten Tag.»97

Der Begriff der Sphärenmusik intendiert die Vorstellung einer harmonischen Ordnung des Weltalls. Griechische Naturphilosophen wie Heraklit (um 520–460 v. Chr.) und Empedokles (um 495–435 v. Chr.) greifen auf mythologische Vorstellungen zurück und sehen den Lauf der Welt und des Kosmos als ein harmonisches Wechselspiel von Entstehen und Vergehen. Eine der ersten Systematisierungen und Verbindungen mit dem Musikalischen dieser Anschauung liefert der griechische Philosoph und Mathematiker Pythagoras (um 570 v. Chr. – 510 n. Chr.).

Pythagoras und seine Schule bestimmen das Verhältnis zwischen Himmel, Erde und Seele zum einen durch das Konzept der Harmonie, zum anderen durch Zahlen, die Erkenntnis ermöglichen. Die Pythagoreer verstehen die Philosophie und die Musik als höchste Formen der Seelenläuterung. Die kosmologische Ordnung manifestiert sich für Pytha