: Ingrid Müller-Münch
: Die Täterinnen von Majdanek KZ-Aufseherinnen vor Gericht
: Dittrich Verlag
: 9783910732339
: 1
: CHF 12.60
:
: Zeitgeschichte (1945 bis 1989)
: German
: 236
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
»Dieses Buch ist aktueller denn je: Es zeigt, wohin Rechtsextremismus und Antisemitismus führen können. In ihrem aktualisierten Bericht des Düsseldorfer Majdanek-Prozesses porträtiert Ingrid Müller-Münch nicht allein die Opfer des Massenmords, sondern insbesondere die »Frauen auf der Anklagebank«: Sie waren keine fanatischen Nationalsozialistinnen, bevor sie zu brutalen, sadistischen und mörderischen KZ-Aufseherinnen wurden, sondern Hausfrauen, Fabrikarbeiterinnen oder Pflegerinnen - Frauen aus der sogenannten Mitte der Gesellschaft. Diese Täterinnen-Biografie sollte gerade jetzt auch Pflichtlektüre in den Schulen werden und zugleich uns allen Mahnung für die Zukunft!« (Günter Wallraff, Sommer 2024)

Ingrid Müller-Münch ist Journalistin und Autorin zahlreicher Sachbücher. Sie arbeitete für den STERN, für Reuters, die FRANKFURTER RUNDSCHAU und seit langem für den WDR.

Ein Taxifahrer fällt aus der Rolle –
»Ein ganz normaler Prozesstag«


Der 466. Verhandlungstag im Majdanek-Prozess. Den ganzen Vormittag hatte ich in der muffigen Atmosphäre des Düsseldorfer Landgerichts verbracht, einem der Verteidiger gelauscht, der durch sein Plädoyer eine angeklagte Massenmörderin vor lebenslanger Haft bewahren wollte. Und ich kam mir jetzt am Kölner Hauptbahnhof, auf der Suche nach einem Taxi, noch immer fremd und deplatziert in dieser hektischen Alltagsbetriebsamkeit vor. Der Wechsel von der Welt, über die man in Saal 111 des Düsseldorfer Landgerichts seit über fünf Jahren zu Gericht saß, und der, die draußen vor der Tür so gar nichts damit zu tun hatte, fiel mir fast jedes Mal schwer. So grübelte ich denn vor mich hin und ließ mich erschöpft von einem Taxifahrer nach Hause kutschieren. Ganz in Gedanken, müde und leer. An einem Zebrastreifen musste der Wagen halten, weil eine Frau mit einem Kopftuch, an der Hand zwei kleine Kinder, die Straße überquerte. Plötzlich eröffnete der Mann hinter dem Steuer mit einer Bemerkung, die ich erst gar nicht verstand, einen endlos langen Monolog. »Woanders wäre ich jetzt einfach durchgefahren«, brummte er zwischen den Zähnen. Woraufhin ich erstaunt aufhorchte und mich erkundigte, wie er das gemeint habe. Von der Frau, die da so unverhofft seinen Weg gekreuzt hatte, kam er auf die Ausländer, die sich hier breit machten und es geschickt verstünden, durch unaufhaltsames Kinderkriegen dem deutschen Steuerzahler die Würmer aus der Nase zu ziehen. Die sollte man alle »platt machen«. Dann ließ er sich über die »Zigeuner« aus, die zwar verdreckt und verarmt täten, aber im Grunde genug Geld zusammengeschachert hätten, um in dicken Mercedes-Limousinen durch die Gegend zu fahren. Und so, als hätte er geahnt, dass ich gerade aus einem Prozess kam, bei dem es um die Ermordung von hundertausenden Menschen ging, schlug er auch dorthin noch den Bogen.

Einige Tage vor diesem Dienstag, dem 12. Mai 1981, hatte der damalige israelische Ministerpräsident Menachem Begin für Schlagzeilen gesorgt, als er dem deutschen Volk insgesamt die Mitschuld an dem gegeben hatte, was während der nationalsozialistischen Herrschaft den Juden angetan worden war. Was der sich eigentlich einbilde – geriet die Stimme des beleidigten deutschen Volkes da hinter dem Lenkrad immer mehr in Fahrt – wo diese Juden uns Deutsche doch nun wirklich hinlänglich geschröpft hätten. Millionen und Millionen an Wiedergutmachung hätten wir ihnen schon in den Rachen gestopft, und noch immer wollten sie keine Ruhe geben. Dabei lebte doch längst keiner mehr von denen, die seinerzeit in den KZs gewesen wären. Es sei Zeit, endlich »Schwamm drüber« zu sagen, damit deren Kinder nicht länger auf unsere Kosten ein schönes Leben