Wie gewinnt der Dichter nun die Täuschung für seine übernatürlichen Wesen?
1.
Durch die Darstellung einer ganzen wunderbaren Welt, damit die Seele nie wieder in die gewöhnliche Welt versetzt, und so die Illusion unterbrochen werde. — Dadurch, daß die dargestellten Wunder nicht ganz unbegreiflich scheinen.
Dem erzählenden Dichter wird es ungleich leichter, den Leser in eine übernatürliche Welt zu versetzen: Schilderungen, poetische Beschreibungen stehen ihm zu Gebot, wodurch er die Seele zum Wunderbaren vorbereitet; man sieht die Erscheinungen erst durch das Auge des Dichters, und der Täuschung widersetzen sich nicht so viele Schwierigkeiten, da sie auch nie so lebhaft werden kann, als die Täuschung des Drama‘s werden soll. Man glaubt dem epischen Dichter gleichsam auf sein Wort, wenn er nur einige Kunst anwendet, seine wunderbare Welt wahrscheinlich zu machen; aber im Schauspiele sieht der Zuschauer selbst; der Schleier, der ihn von den Begebenheiten trennt, ist niedergefallen, und er verlangt daher hier auch eine größere Wahrscheinlichkeit.
Wenn der dramatische Dichter uns in eine wunderbare Welt einführen will, so wird er immer an unserm Unglauben die gröste aller Schwierigkeiten finden. Wir interessiren uns leicht für Leidenschaften und Situationen; wir werden bald mit Charakteren vertraut: aber wie soll die Schwierigkeit überwunden werden, daß uns die Geschöpfe, die blos in der Phantasie existiren, nicht immer übernatürlich erscheinen? Oder, wenn der Dichter endlich unsern Hang zur Illusion auf seine Seite gezogen hat, wie kann er es vermeiden, daß wir nicht in jedem Augenblicke den Betrug bemerken, und dadurch auf eine desto unangenehmere Art in die Wirklichkeit versetzt werden?
Daß die Allegorie diese täuschende Kraft nicht habe, bedarf wohl kaum einer Bemerkung. Man sieht den Direkteur gleichsam mit der Hand unter seine nachahmenden Marionetten greifen; man sieht den dargestellten, moralischen oder philosophischen Satz, für sich da stehen: und eben dadurch, daß nur allein dem Scharfsinn Beschäftigung gegeben wird, verliert sich das Spiel der Phantasie; und in eben dem Augenblicke spricht der Verstand auch über die ganze übrige Composition ein Verdammungsurtheil aus; denn der Dichter lehrt ihn selbst zuerst, wie inconsistent seine Erdichtungen sind. So hebt Göthe, in seinem Egmont, nach einer sehr schönen Scene, durch eine Allegorie die ganze Wirkung des Schlusses auf. Sonst haben sich beym neuern Theater diese unpoetischen Fictionen fast ganz allein in das Gebiet der Prologe zurück gezogen. — Die Masken in den alten Englischen Schauspielen sind oft allegorisch, und selbst die Maske im Sturm hat einen Anstrich davon; allein sie gehört nicht wesentlich zum Stück, und ist auch vielleicht der größte Fehler des Stücks. Shakspeare vermeidet sonst immer die Allegorie, ob ihm ihr Gebrauch gleich sehr nahe lag; denn die Moralities waren oft ganz allegorisch; und selbst in den Trauerspielen, die kurz vor ihm, und selbst noch zu seiner Zelt aufgeführt wurden, stehen noch oft allegorische Wesen in der Reihe der handelnden Personen.
Der Sturm und der Sommernachtstraum lassen sich vielleicht mit heitern Träumen vergleichen: in dem letztern Stück hat Shakspeare sogar den Zweck, seine Zuschauer gänzlich in die Empfindung eines Träumenden einzuwiegen; und ich kenne kein anderes Stück, das, seiner ganzen Anlage nach, diesem Endzweck so sehr entspräche. Shakspeare, der so oft in seinen Stücken verräth, wie vertraut er mit den leisesten Regungen der menschlichen Seele sey, beobachtete sich auch wahrscheinlich in seinen Träumen, und wandte die hier gemachten Erfahrungen auf seine Gedichte an. Der Psychologe und der Dichter können ganz ohne Zweifel ihre Erfahrungen sehr erweitern, wenn sie dem Gange der Träume nachforschen: hier läßt sich gewiß oft der Grund entdecken, warum manche Ideencombinationen so heftig auf die Gemüther wirken; der Dichter kann hier am leichtesten bemerken, wie sich eine Menge von Vorstellungen an einander reihen, um eine wunderbare, unerwartete Wirkung hervorzubringen. Jedermann von lebhafter Phantasie wird gewiß schon oft gelitten, oder sich glücklich gefühlt haben, indem ihn ein Traum in das Reich der Gespenster und Ungeheuer, oder in die reizende Feenwelt versetzte. Mitten im Traume ist die Seele sehr oft im Begriff den Phantomen selbst nicht zu glauben, sich von der Täuschung loszureißen, und alles nur für betrügerische Traumgestalten zu erklären. In solchen Augenblicken, wo der Geist gleichsam mit sich selber zankt, ist der Schlafende immer dem Erwachen nahe; denn die Phantasien verlieren an ihrer täuschenden Wirklichkeit, die Urtheilskraft sondert sich ab, und der erste Zauber ist im Begriff zu verschwinden. Träumt man aber weiter, so entsteht die Nicht-Unterbrechung der Illusion jedesmal von der unendlichen Menge neuer magischen Gestalten, die die Phantasie unerschöpflich hervorbringt. Wir sind nun in einer bezauberten Welt festgehalten: wohin wir uns wenden, tritt uns ein Wunder entgegen; alles, was wir anrühren, ist von einer fremdartigen Natur; jeder Ton, der uns antwortet, erschallt aus einem übernatürlichen Wesen. Wir verlieren in einer unaufhörlichen Verwirrung den Maaßstab, nach dem wir sonst die Wahrheit zu messen pflegen; eben, weil nichts Wirkliches unsre Aufmerksamkeit auf sich heftet, verlieren wir in der ununterbrochenen Beschäftigung unsrer Phantasie, die Erinnerung an die Wirklichkeit; der Faden ist hinter uns abgerissen, der uns durch das räthselhafte Labyrinth leitete; und wir geben uns am Ende völlig den Unbegreiflichkeiten Preis. Das Wunderbare wird uns itzt gewöhnlich und natürlich: weil wir von der wirklichen Welt gänzlich abgeschnitten sind, so verliert sich unser Mißtrauen gegen die fremdartigen Wesen, und nur erst beym Erwachen werden wir überzeugt, daß sie Täuschung waren.
Die ganze Welt von Wunderbarem ist es, die unsre Phantasie in manchen Träumen so lange beschäftiget, wo wir auf eine Zeit lang ganz die Analogie unsrer Begriffe verlieren, und uns eine neue erschaffen, und wo alles diesen neuerworbenen Begriffen entspricht. — Alles dieses, was die Phantasie im Traume beobachtet, hat Shakspeare im Sturm durchgeführt. Die vorzüglichste Täuschung entsteht dadurch, daß wir uns durch das ganze Stück nicht wieder aus der wundervollen Welt verlieren, in welche wir einmal hinein geführt sind, daß kein Umstand den Bedingungen widerspricht, unter welchen wir uns einmal der Illusion überlassen haben. Shakspeare beobachtet eben dies im Sommernachtstraum, aber nicht auf eine so vorzügliche Art, als im Sturm. Hier führt uns nichts in die wirkliche Welt zurück; Begebenheiten und Charaktere sind gleich außerordentlich; die Handlung des Stücks hat nur einen kleinen Umfang, aber sie ist durch so wunderbare Vorfälle, durch eine Menge von Uebernatürlichkeiten vorbereitet und durchgeführt, daß wir die Grundbegebenheit des Stücks fast ganz darüber vergessen, und uns nicht so sehr für den Zweck des Dichters interessiren, als für die Mittel, durch die er seinen Zweck erreicht. Der Faden, an welchem alles Uebrige gereiht ist, ist die Wiedereinsetzung eines vertriebenen Fürsten in sein Reich: eine Begebenheit, die an sich, wegen des Unpoetischen der Situation, wenig Interesse hat. Dieses einfache Sujet will der Dichter zu einem wunderbaren erheben; und wenn man nicht annimmt, daß Shakspeare es ganz aus einer Italiänischen Novelle schöpfte, (man hat aber noch keine, diesem Stück ähnliche, aufgefunden,) so ist es sehr interessant, zu bemerken, durch wie viele Grade der Dichter die gewöhnliche Begebenheit zu einer ungewöhnlichen und wundervollen erhob. Er läßt Prospero durch seinen Bruder vertrieben werden: dadurch setzt der Dichter ihn mit seinem Feinde in ein interessantes Verhältniß, das durch das minder Gewöhnliche die Aufmerksamkeit schon etwas mehr rege macht. Statt ihn blos zu verbannen und ins Elend zu schicken, läßt er ihn übers Meer, auf einem zerbrechlichen Nachen schiffen, und nach vielen Jahren an eine wüste, menschenleere Insel landen, wo er, von der ganzen übrigen Welt abgeschnitten, sich selber überlassen ist. Diese außerordentliche und romantische Situation kommt schon dem Wunderbaren nahe. Dieser Fürst aber, an dessen Schicksalen wir itzt Theil nehmen, ist kein gewöhnlicher Mensch; der Dichter läßt ihn als einen Charakter auftreten, der sich dem Ideale nähert? Er ist über die Leidenschaften der Menschen erhaben, er hat ihre Schwächen abgelegt. Dadurch können wir freilich für sein Unglück nicht gerührt werden, weil er es selbst nicht tief genug fühlt; der Charakter verliert die Theilnahme, die wir dem Elenden schenken, aber er wird in eben dem Augenblicke ein Gegenstand unsrer Bewunderung, und eben dadurch, daß die Hauptperson kein gewöhnlicher Mensch ist, wird das Wunderbare im Stück wieder um einen Grad erhöht. Er lebt aber nicht ganz einsam in seiner Verbannung; seine Tochter ist seine Begleiterinn gewesen: Auf ihre zarte Unschuld, auf ihre feinen Empfindungen, auf das reizendste weibliche Geschöpf wird nun die Liebe des Zuschauers gelenkt, die den über ihm erhabenen Prospero nicht erreichen kann. Durch diesen Charakter verbi