1. KAPITEL
Es geht nichts über das Zuhause. Und das lag für Erica Abernathy in Bronco Heights, Montana.
Sie fuhr in ihrem vollbeladenen SUV auf die Ambling A Ranch zu. Hier war sie aufgewachsen. Es war eine lange Fahrt von Denver hierher gewesen. Doch als sie jetzt ihr Ziel vor Augen hatte, wäre sie lieber tausend Meilen entfernt gewesen.
Sie liebte ihre Familie, aber sie fürchtete die Reaktion bei ihrem Anblick. Sie würden tausend Fragen stellen.
Wie eigentlich jedes Mal, wenn sie nach Hause kam. Meistens etwas wie: „Gefällt dir das Leben in einer Stadt wie Denver?“ Oder „Hast du einen Freund? Etwas Ernstes? Wir können es nicht erwarten, Enkel zu bekommen.“ Erica schaute auf ihren Babybauch, der jeden Tag ein wenig näher ans Lenkrad reichte.
„Du machst sie zu Großeltern, Kleines. Aber sie werden mir dafür nicht dankbar sein.“
Erica hielt vor dem großen Haus aus kanadischer Zeder und Steinen, die vor Ort in Montana abgebaut wurden. Stabile Rundhölzer stützten das Dach über dem Eingang. Die Sonne war eben untergegangen, durch die großen Fenster schimmerte Licht.
Rauch stieg aus dem Schornstein auf. In Montana konnte es verflixt kalt werden, und es gab Anfang Oktober oft heftige Schneestürme. Fröstelnd zog sie ihren Poncho am Hals fester zu.
Ihr Zuhause hatte ihr gefehlt. Sie liebte die Ranch, das Land, die Berge. Und nach zwölf Jahren wollte sie nun hierher zurückkehren.
Erica seufzte. Es brachte nichts, den ersten Schritt hinauszuzögern.
Sie ging zur Eingangstür und klingelte. Das Licht auf der vorderen Veranda ging an, die Tür wurde geöffnet, und Angela Abernathy stand vor ihr. Ihre blauen Augen weiteten sich, dann lächelte sie strahlend. „Erica, Liebes, was für eine Überraschung!“
„Hi, Mama.“
„Das ist ja schön. Komm rein. Ich hoffe, du kannst bleiben. Und diesmal länger als einen Tag.“
„Ganz gewiss.“ Sie versuchte ihrer Stimme einen fröhlichen Klang zu geben.
„Habe ich nicht mitbekommen, dass du Urlaub hast?“
Ein Hinweis darauf, dass sie seit Weihnachten nicht mehr dagewesen war. Und ihrer Mutter war noch nicht einmal die Hauptsache aufgefallen.
„Warum hast du nicht Bescheid gesagt, dass du kommst?“ Sie zog ihre Tochter an sich, dann wich sie erschrocken zurück. „Erica?“
Sie ging in den hell erleuchteten Flur und zog den Poncho über den Kopf. Die Augen ihrer Mutter wurden groß. „Du bist schwanger“, stellte Angela fest. „Warum hast du uns nicht gesagt, dass du ein Baby bekommst?“
Hilflos hob sie die Hände. „Ich wusste nicht, wie ich es euch beibringen sollte.“
Angela blickte auf Ericas linken Ringfinger. „Konntest du uns vielleicht auch nicht sagen, dass du geheiratet hast?“
Erica zuckte zusammen. Der Schmerz in den Augen ihrer Mutter und der Tadel in ihrer Stimme waren wie Stiche in ihr Herz.
„Nein, Mama. Ich bin nicht verheiratet.“
„Ist das Baby von Peter?“
Erica hätte wissen müssen, dass sie das fragen würde. „Nein. Ich habe dir gesagt, dass wir vor einem Jahr Schluss gemacht haben.“
Bedauern war in den Augen ihrer Mutter zu erkennen. „Stimmt, aber ich dachte …“
Die Trennung hatte Erica zu schaffen gemacht. Peter Barron war gutaussehend, klug, humorvoll und erfolgreich, und sie hatte ihn gerngehabt. Sie war sicher gewesen, dass er der Richtige war. Deshalb hatte sie das Thema „Kinder“ zur Sprache gebracht. Seine Antwort war unmissverständlich gewesen. Er wollte keine Kinder. Nie. Und er würde nicht von seiner Einstellung abweichen.
Si