Gabriele von Arnim
Vorwort: Warum Demokratie?
Demokratie ist für mich unverzichtbar, weil sie, wie keine andere Staatsform, die Menschenwürde schützt.
Gerhart Baum
Seit achtzehn Jahren, so konstatiert es die Organisation Freedom House, die 1941 unter anderem von Eleanor Roosevelt begründet wurde und seither weltweit die Freiheitsgrade misst, schwinde die Demokratie kontinuierlich dahin. In zweiundfünfzig Staaten seien in den letzten Jahren politische Rechte und bürgerliche Freiheiten beschnitten worden, während es in nur einundzwanzig Nationen Verbesserungen gab.
Wir lesen es täglich. Autoritäre Bewegungen und rechtsextreme Parteien gewinnen immer mehr Zustimmung, immer mehr Wahlen. Und das, obgleich sie bekanntlich Menschenwürde, politische Rechte und Freiheiten eben nicht schützen. Weil es ihnen nicht um das Menschenwohl geht, sondern um Ideologien, nicht um Minderheitenschutz, sondern um Macht. Die nicht die bürgerliche Würde wiederherstellen wollen, sondern den nationalen Stolz, indem sie – hier, in Deutschland – die deutsche Geschichte verharmlosen, Geschichtsbewusstsein denunzieren, perfide Begriffe wie «Schamkultur» und «Schuldkult» in den Diskurs einführen.
Sie wollen stolz sein auf ihr Land – doch ihr Weg zum Stolz ist nicht Weltoffenheit, Menschenfreundlichkeit, Zukunftsgestaltung, sondern Hass, Verunglimpfung, Lügengebilde.
Der Auftrag der Demokratie ist es, Menschenwürde, Meinungsfreiheit, Rechtssicherheit zu schützen, freie Wahlen, Bildung für alle, soziale Sicherheit möglich zu machen. Das sind hohe Werte, hehre Worte, die man leicht sagt und bei denen man nicht immer mitbedenkt, was es bedeutet, sie zu leben. Dass Demokratie kein Zustand ist, sondern ein Prozess, dass man sich auch selbst engagieren muss, um diese Werte zu bewahren. Oft bleiben die Begriffe abstrakt, abgehoben, werden zu selten aus der Sphäre der politischen Theorie in den persönlichen und privaten Alltag geholt.
Deshalb war es die Idee für diesen Band, Demokratie zu erzählen. Von sich zu erzählen. Dem eigenen Verhältnis zur Demokratie, von den unmittelbaren Erfahrungen mit der Freiheit, den Rechten und Pflichten, von der eigenen Lethargie oder dem Engagement, dem Frust und der Lust, in einer Demokratie zu leben.
Denn immer steht der Mensch im Mittelpunkt der Gesellschaft. Er ist die Gesellschaft. «Der Mensch, der einzelne Mensch», schreibt die große Swetlana Alexijewitsch in ihrem Buch «Secondhand-Zeit», «hat mich schon immer fasziniert. Denn im Grunde passiert alles dort.»
Manchmal frage ich Freunde, welches innere Bild sie sehen, wenn sie das Wort «Demokratie» hören.
Bundesrepublik, sagt eine, die in derDDR aufwuchs.
Deutschland in Trümmern nach dem Zweiten Weltkrieg, sagt die Nächste, die den Weg in ein demokratisches Deutschland mitgegangen ist.
Polyphonie, Gemeinschaft, Verantwortung, sagt eine andere, die in korrupten, drogenvergifteten Ländern gelebt hat.
Nächtliche Seelenruhe, weil man keine Angst haben muss, von Schergen abgeholt zu werden, sagt ein Anwalt.
Schulstunden, in denen wir Demokratie geübt haben, sagt eine Amerikanerin, da habe sie gelernt, was Freiheit, Mitsprache und Kompromiss bedeuten.
Als ich mich selbst befragte, tauchten die Worte «Erleichterung» und «Hoffnung» auf. Erleichterung, in einer freien Gesellschaft leben zu können, und Hoffnung, dass sich das System Demokratie hin zu mehr Teilhabe, Gerechtigkeit, Bürgernähe entwickelt.
Denn nein, Demokratie ist nicht die gute Fee, die mit e