II Tafelrunde der Einwanderungsgesellschaft
Für das Themenfeld Migration hat Aladin El-Mafaalani die vielrezipierte These vom »Integrationsparadox« (El-Mafaalani 2018) aufgeworfen. In seinem Szenario sitzen Migranten, die bislang nicht repräsentiert waren, inzwischen mit am Tisch, und zwar auf Augenhöhe. Gerade dieser Umstand, nämlich die Gleichheit, führt nun allerdings zu mehr Konflikten. Konflikte solle man aber, so El-Mafaalani, nicht als Warnzeichen für gesellschaftliche Desintegration deuten. Im Gegenteil seien sie positives Zeichen dafür, dass Integration stattfindet.
Diese These hat eine lange Geschichte und es gibt sie in verschiedenen Varianten. Bereits Alexis de Tocqueville beobachtete die ungewöhnlich hohe Sensibilität der US-Amerikaner gegenüber Ungleichheiten. Dabei waren die USAdas Land der Gleichheit in Abgrenzung zu Europa. Für Tocqueville bestand hier kein Widerspruch, sondern das eine ergibt sich aus dem anderen. Mehr Gleichheit bedeutet nämlich keineswegs, dass man Ungleichheit weniger beklagt. Eher umgekehrt wird man jetzt erst aufmerksam auf die feineren Formen der Ungleichheit, die sonst eben nicht in den Blick gerieten.
An der Tatsache, dass das Gleichheitsprinzip der modernen Demokratien jede Ungleichheit unter Verdacht stellt, illegitim zu sein, lässt sich allerdings nicht gleich die Art und Weise ablesen, in welcher Gemütslage die Gleichheitsforderungen vorgebracht werden. Dieser Aspekt wird nach wie vor kaum ernsthaft in Betracht gezogen, wenn Minderheiten mit Diskriminierungskritik auftreten und Teile der Mehrheiten ihnen beipflichten. Hier herrscht vielmehr eine moralistische Haltung, der es einzig darauf ankommt, dass sich diejenigen endlich zu Wort melden, die bisher weder gehört noch gesehen wurden. Es wird somit von einem positiv umgedeuteten Minderheitenstatus aus argumentiert und nicht von den Praktiken her, die sich in den Forderungen ausdrücken. Damit wird eine bestimmte sozialeLage zu einemStatus verdichtet. Zwar geht El-Mafaalani selbst nicht so weit, eine große Errungenschaft sei es aber, dass die Migrantennachfahren überhaupt am Tisch säßen. Handelt es sich aber bloß um eine Frage der Über- oder Untertreibungen?
Dieser vielzitierte Ansatz, der auf demokratisch bewegte Gemüter entwaffnend wirkt, hat zwei ernste Probleme, die ich hier diskutieren möchte. Dabei sehe ich von dem viel grundsätzlicheren Problem ab, dass die Gesellschaft hier vereinfachend als Tischgemeinschaft gedacht wird. Zwar sei dies eine Metapher, aber aus der Metapher wird schnell eine Gesellschaftsontologie. Die moderne Gesellschaft ist zu komplex, als dass sie in einem Tischgebet adäquat zum Ausdruck gebracht werden könnte. Das erste Problem betrifft die Frage, welcheAffekte mit am Tisch sitzen. Das zweite, bereits in der Konfliktforschung debattierte, betrifft die Frage danach, ob sich moderne Gesellschaften über Konflikte integrieren; und falls ja, welche Art von Konflikten es ist, die Integration befördern.
Affekte bei Tisch
Dass wir vermehrt mit Rassismuskritik zu tun haben, liegt in der Tat auch daran, dass immer mehr Migranten – in der Sprache der Rassismuskritik ausgedrückt: »Nichtweiße« – in diversen gesellschaftlichen Bereichen präsent sind. Vor allem handelt es sich um Berufszweige, in denen die Kommunikation und somit die Sprache im Fokus stehen. Zu den neuen Mittelklassen, die nach Reckwitz Träger der Singularitätskultur sind und sich durch eine gesteigerte Sensibilität auszeichnen (Reckwitz 2019), gehören inzwischen mehr und mehr auch Nachfahren der Migranten. Nicht nur sie, sondern selbst Neuzuwanderer treten bereits trainiert in der Kultur der Empfindlichkeit auf. Das kann man an Fällen gut studieren, die gar nicht dramatisch und höchst alltäglich sind. In ihrer Bachelor-Arbeit lässt eine Studentin junge Syrer zu Wort kommen, die als Flüchtlinge nach Deutschland gelangten. Ein 21 Jahre