Prolog
Donnerstag, 15. Juni
Eine rötliche Abenddämmerung legte sich über die Wohnsiedlung, als Jessica Haupt ihren Wagen auf der Zufahrt der Villa parkte und ausstieg. Sie eilte den mit Unkraut übersäten Kiesweg entlang, hetzte die Steinstufen hinauf und klingelte. Es dauerte einen Augenblick, bis die Haustür geöffnet wurde und eine alte Dame auf einem Gehstock gestützt ihr entgegentrat. Sie lächelte und bat Jessica hinein.
Das Gesicht der Seniorin war mit tiefen Falten durchzogen. Ihr weißes, dünnes Haar hatte sie zu einem Dutt zusammengesteckt.
„Watson hat schon sehnsüchtig auf dich gewartet. Er muss so dringend, dass er fast schon in den Flur gepinkelt hätte“, wurde Jessica von Rose Chevalier mit einem Augenzwinkern empfangen.
Energisch kämpfte sich der sieben Monate alte Schmetterlingshund an seiner Besitzerin vorbei und sprang an Jessicas Beinen hoch. Er bellte und drehte sich mehrmals um die eigene Achse.
Im Flur offenbarte eine Bildergalerie, was für eine Schönheit Rose Chevalier in jungen Jahren gewesen sein musste. Und obwohl der Höhepunkt ihrer Schauspielkarriere einige Jahrzehnte zurücklag, umgab sie immer noch die strahlende Aura von einst. Von der Schauspielerin ging eine Herzlichkeit aus, die Mensch und Tier gleichermaßen in den Bann zog.
„Tut mir leid, dass du so lange auf mich warten musstest. Dafür drehen wir gleich eine extra Runde“, entschuldigte sich Jessica bei dem Welpen und streichelte über seinen Kopf. Danach wandte sie sich der Schauspielerin zu.
„Mein Chef hatte vergessen, dass er für morgen eine Präsentation vorbereiten muss. Und wer durfte mal wieder die undankbare Aufgabe übernehmen, weil alle anderen bereits Feierabend gemacht haben?“
Rose verzog das Gesicht und zuckte mit den Schultern.
„Ich habe dir schon mal gesagt, dass du zu viel arbeitest, Liebes. Danken wird es dir niemand. Vielleicht solltest du in Zukunft einfach früher Schluss machen. Die anderen machen das doch auch.“
Sie wandte sich ihrem Hund zu und hob ermahnend den Zeigefinger.
„Und du vergiss nicht, was Jessica dir beim letzten Mal gesagt hat. Es kann nicht immer nur nach deiner Nase gehen, Watson. Auch Hunde müssen lernen, zu warten.“
Der Vierbeiner antwortete mit einem Bellen. Rose nahm die Hundeleine vom Sideboard und drückte sie Jessica in die Hand. Eilig befestigte sie die Leine am Halsband und nickte dem Hund auffordernd zu.
„Komm Watson, auf geht’s!“
Das kleine Energiebündel bellte und zog aufgeregt zur Straße.
„Nimm den Schlüssel mit, Liebes. Falls ich die Klingel nicht höre.“
„Sie meinen, für den Fall, dass der Film wieder so spannend ist? Was kommt denn?“
Rose strahlte übers ganze Gesicht, als sie Jessica den Schlüssel in die Hand drückte.
„Irgendein skandinavischer Krimi“, antwortete Rose, schaute auf die Uhr und blickte sie erstaunt an. „Schon zehn nach neun? Ich muss m