Frankfurt am Main, Bahnhofsviertel
Siggi parkt seinen feuerroten Camaro am frühen Nachmittag direkt vor dem Eingang des Clubs im absoluten Halteverbot.
Hinter den rot getönten Scheiben des Puffs brennt kein Licht, die Doppeltür mit der Aufschrift „Girls, Girls, Girls“ ist geschlossen. Seit man die Bordelle wegen der Pandemie dichtgemacht hat, läuft das Geschäft illegal auf der Straße. Die Türsteher sind gereizt, weil es nichts zu kontrollieren gibt, und die Mädchen, die keine andere Wahl haben, laufen scheinbar absichtslos durch die Gegend oder stehen in dunklen Hauseingängen. Ihre Zuhälter sitzen währenddessen gelangweilt in den am Straßenrand geparkten Autos und spielen mit ihren Handys.
Siggi steigt aus seinem Wagen und sieht sich um. An der Tür, die in das Treppenhaus neben dem Club führt, hängt ein mit Lippenstift gemaltes Schild: „Auch an Sexarbeit hängen Existenzen“.
Ja, denkt Siggi grimmig, zum Beispiel meine. Er schließt auf, verschwindet im Hauseingang und nimmt die Treppe nach oben. Im ersten Stock des Altbaus betritt er ein fast leeres Zimmer. Lediglich zwei einfache Holzstühle und ein Bettgestell aus Messing mit einer nackten Matratze darauf befinden sich in dem Raum. An der Schmalseite des Zimmers hängt ein Spiegel, in der gekachelten Ecke zu seiner Linken ist ein einfaches Waschbecken an die Wand geschraubt. Ein verblichenes grauweißes Handtuch hängt an einem Haken daneben. Die Luft riecht süßlich schwer und ein bisschen nach kaltem Rauch.
Siggi durchquert das Zimmer mit großen Schritten, öffnet das Fenster und sieht hinunter auf die Straße. Drei junge Männer mit Bierdosen in der Hand stehen gegenüber vor dem Eingang eines Table-Dance-Ladens. Sie stoßen sich gegenseitig an und machen eindeutige Handbewegungen, lachen laut und überqueren breitbeinig die Straße, als könne ihnen keiner was. Ihre medizinischen Masken hängen ihnen wie Lätzchen unterm Kinn. Landeier, die wahrscheinlich zum ersten Mal im Frankfurter Bahnhofsviertel unterwegs sind, und das ausgerechnet im Lockdown.
Siggi reibt sich die Nasenwurzel mit Daumen und Zeigefinger, er hat Kopfschmerzen. Einen Moment schließt er die Augen, und als er sie wieder öffnet, stehen die Jungs unten vor dem Club. Einer lehnt sich mit seinem fetten Hintern an Siggis Camaro. Der Junge trinkt einen Schluck, rülpst und zerquetscht die Leichtmetalldose zwischen seinen Fingern. Als er Siggis Pfiff hört, sieht er sich suchend um, legt schließlich den Kopf in den Nacken und sieht ihn am offenen Fenster stehen. Ruckartig bewegt sich der Junge mit der zerdrückten Bierdose in der Hand von dem Camaro weg und hebt entschuldigend eine Hand, seine beiden Freunde treten feixend zu ihm, verstummen aber sofort, als sie Siggi am Fenster stehen sehen, der nichts weiter tut, als zu ihnen runterzusehen.
Die Jungs trollen sich und Siggi schließt das Fenster.
Früher wäre er nach unten gegangen und hätte es nicht bei bösen Blicken belassen, mittlerweile setzt er seine Mittel sparsamer ein. Mit Ende vierzig ist seine Reaktionsschnelligkeit nicht mehr die Beste und den härtesten Punch hat er auch nicht mehr. Siggis Überlebensstrategie ist deshalb, wenn es unbedingt nötig ist, immer als Erster zuzuschlagen, und zwar dahin, wo es wehtut. Wo es richtig wehtut. Meistens ist dann Ruhe im Karton.
Aber vorlaute Möchtegern-Freier, die angesoffen über die Taunusstraße stolpern, auf offener Straße zu verprügeln, ist unnötig. Die rennen am Ende noch zur Polizei, und die kann Siggi jetzt überhaupt nicht gebrauchen. Er ist froh, den Job bei den Rumän