1. Kapitel
Noch ein einziger Gast hielt sich in der Kneipe vonJames, the Irish auf.
Das Lokal war längst geschlossen, laut Gesetz wurde nach dreiundzwanzig Uhr kein Alkohol mehr ausgeschenkt, doch der letzte Gast und der Wirt schienen die Vorschrift und die Zeit vergessen zu haben.
Der bärtige Mann am Ecktisch neben dem verhangenen Fenster hob sein Glas und leerte den letzten Rest Whisky, der sich noch darin befand.
»James«, sagte der Gast mit dem Bart mit unsicherer Stimme.»Dafür, dass dein Whisky so ... billig ist, ... ist er verdammt ... gut ... ich würde sagen ... du lässt nochmal die Luft aus dem Glas und ...«
Der rothaarige Wirt schüttelte den Kopf.»Das hast du vorhin auch schon gesagt, Thomas ... und davor auch schon mal.«
Der Bärtige winkte ab.»Da war's auch nicht das letzte Mal, James ...« Der Sprecher sah sich mit wässrigen Augen um.»Sioban«, brüllte er.»Dein Vater hat etwas gegen mich.«
»Du hast genug, Thomas ...« Obwohl auch James Coutrey schon einige Doppelstöckige verkonsumiert hatte, bekam er alles genau mit, und man merkte ihm den genossenen Alkohol nicht an.
Der Wirt stellte demonstrativ die verkorkte Flasche auf die Theke.»Morgen Abend, Thomas, geht's weiter. Da spendier' ich dir einen Begrüßungsdrink ... Ich weißüberhaupt nicht, was heute mit dir los ist ... du bist zwar meistens der letzte Gast, aber solange hast du's noch nie ausgehalten. Das hat doch seinen Grund ...«
Thomas Malone nickte eifrig und drehte das leere Glas zwischen seinen Fingern.»Hat es auch ...« Er grinste breit, fast von einem Ohr zum anderen.»Ich glaub, ich bin da einer großen Sache auf der Spur ...« Er verdrehte die Augen.
»Einer großen Sache? Was soll das heißen?«, fragte James Coutrey verwundert.
»Ich sag nur eins: Sioban ...«
»Sioban? Was hat das denn mit ihr zu tun, dass du jetzt noch hier bist?« James Coutrey rieb sich seine große Nase.
Sein Gegenüber schüttelte bedächtig den Kopf.»Vielleicht kommt's noch zu einerÜberraschung, James. Ich habe da so ein ganz komisches Gefühl ...«
»Tut mir leid, verstehe ich nicht.«
»Deine Tochter war heute Abend nicht sehr oft im Lokal. Soviel wie heute hast du noch nie selbst tun müssen. Dabei ... ist das doch nicht Siobans freier Tag, wenn ich recht informiert bin.« Er war recht informiert. Er kannte die Gepflogenheiten genau.»Sioban ist oft nach draußen gelaufen heute Abend.«
»Sie hat einen schlechten Tag erwischt und fühlt sich heute nicht ganz wohl ... So was kann passieren. Da muss man halt mal raus, um frische Luft zu schnappen.«
»Das Luftschnappen dauert ziemlich lange.« Thomas Malone kicherte.»Sie ist schon mindestens zwei Stunden weg ... Komm, James, lass die Katze aus dem Sack. Mir kannst du's anvertrauen, da steckt mehr dahinter ... Sioban ist plötzlich in festen Händen ... die jungen Burschen im Ort waren wild nach ihr, aber keiner war ihr recht. Da taucht dieser Fremde auf ... wie war doch noch sein Name?«
»Ich weiß nicht, wovon du sprichst!«
»Tu nicht so scheinheilig, alter Gauner! Du weißt sehr wohl, um was es geht ... Sioban ist verdammt hübsch. Und diesmal scheint es bei ihr gefunkt zu haben ... Wann wird Verlobung gefeiert, James?«, fragte der Bärtige direkt.
»Thomas, du bist ja wirklich ... betrunken ...« Coutrey schlug sich auf den Oberschenkel.»Du hörst wohl die Flöhe husten, wie? Verlobung ...? Sioban und ... der Fremde? Dieser Deutsche, der erst seit ein paar Tagen im Land ist und droben die alte Fischerhütte auf den Klippen erworben hat? Du siehst Gespenster ...«
»Ich hab Augen im Kopf, James ... Sioban hat's erwischt. Warum auch nicht? Selbst wenn's ein Fremder ist, der sie zum Traualtar führt: die Hauptsache ist doch, die beiden verstehen sich.«
»Sie kennen sich kaum, Thomas. Zugegeben, Sympathien mögen vorhanden sein ... aber so weit wie du, möchte ich doch nicht gehen ...« Mit diesen Worten erhob sich Coutrey vom Stuhl.»Sie ist draußen vor dem Haus, Thomas ... und nicht oben in der Hütte, wenn du das meinst. Außerdem ist dieser Mister Thorwald schon den ganzen Tag weg, er war heute Abend noch nicht zurück ...«
»Wie gut duüber diese Dinge informiert bist«, kicherte der Mann und erhob sich ebenfalls. Mit unsicheren Schritten schlurfte er hinter Coutrey her. James Coutrey schalt sich im stillen einen Narren und war plötzlich wieder völlig nüchtern, obwohl er nicht viel weniger als Malone getrunken hatte.
Während des Gesprächs war ihm nicht aufgefallen, wie viel Zeit vergangen war. Schon zwei Stunden war Sioban draußen? Das konnte er kaum glauben.
Er riss die Tür auf. Die kühle Nachtluft, gesättigt mit Feuchtigkeit vom nahen Meer, fächelte sein erhitztes Gesicht.
»Sioban?«, fragte er in die Dunkelheit. Die Straße lag einsam vor ihm. Häuser in direkter Nachbarschaft gab es nicht.
Die Straße warüberschaubar, von Sioban war keine Spur zu sehen ...
Thomas Malone klopfte dem Wirt jovial auf die Schultern.»Ich nehm' dein Angebot für den Abend zu einem Begrüßungsdrink bei dir an, James. Ich krieg das komische Gefühl nicht los, dass deine Sioban doch eineÜberraschung für uns alle parat hält. Nicht nur für dich ... Bis zum Abend dann ... Sioban wird bei dem blonden Mann in der Hütte sein ... ja, ja, die Liebe ... dagegen, James, ist noch kein Kraut gewachsen.«
Er zuckte die Achseln und wankte die dunkle Straße entlang. Bevor James Coutrey ihn ganz aus den Augen verlor, drehte Malone sich noch mal um und winkte fröhlich zurück. Dann tauchte er in der Nacht unter.
James Coutrey zerdrückte einen Fluch zwischen den Zähnen.»Sioban«, murmelte er im Selbstgespräch vor sich hin.»Das passt doch gar nicht zu dir ... mich einfach im Stich zu lassen und nichts zu sagen ... mach mir keine Schande, Kleine! Wenn du ihn magst, dann ist das okay, und ich lege dir keine Steine in den Weg, das weißt du ... aber halt wenigstens gewisse Regeln ein ...«
Er strich das Haar aus der Stirn, und seine Augen verengten sich plötzlich, als er aus Richtung Traighli etwas sich n&