1. Kapitel
Am nächsten Morgen hielt ein funkelnagelneuer Austin vor der Praxis Dr. Henry Fonds.
Der Psychotherapeut praktizierte hier seit anderthalb Jahren, zuvor war er in Glasgow gewesen. Niemand wusste eigentlich so recht, weshalb er die Großstadt mit Alness vertauscht hatte. Einige böse Zungen behaupteten, dass er nur für die High Society Schottlands und Englands zuständig war, die zu ihm kam, ob er nun in Glasgow wohnte oder hier in dieser abseits gelegenen Stadt.
Etwas war tatsächlich daran.
Doch hatte man auch beobachten können, dass Dr. Henry Fond immeröfter Patienten annahm, die keineswegsüber einen großen Geldbeutel verfügten.
Der Mann, der den Austin vor dem Tor des großen, dreistöckigen Hauses parkte, in dem Fond fast völlig allein lebte, hieß Stuart White. Vor Jahren noch ein erfolgreicher Warenhausdetektiv, hatte er sich eines Tages selbständig gemacht und besorgte nun Informationen auf eigene Rechnung.
White war neunundzwanzig Jahre alt, sportlich und schlank. Er bevorzugte dunkelblaue und dunkelgraue Anzüge, zu denen er immer recht ausgefallene Krawatten trug.
White warf einen Blick zu dem düsteren, zurückgebauten Wohnhaus. Hinter den Fenstern der Dachwohnung glaubte er für den Bruchteil eines Augenblicks die Umrisse einer dunklen Silhouette zu sehen.
Seine Recherchen hatten ergeben, dass Fond die oberste Wohnung an eine alte, alleinstehende Frau vermietet hatte. Sie sollte einen sehr merkwürdigen Lebenswandel führen. Sie ernährte sich nur vegetarisch und von einer Vitaminpaste, die sie aus Kräuterauszügen selbst bereitete.
Man sah diese Frau, die das Leben eines Yogis führte– sie war zwölf Jahre lang durch Indien gereist– niemals in derÖffentlichkeit. Sie war schon Mitte Siebzig, sollte aber zwanzig Jahre jünger aussehen. Sie führte einen ruhigen, gesunden Lebenswandel, und White hatte herausgefunden, dass manchmal Frauen zu ihr kamen– sehr junge Vertreterinnen ihres Geschlechtes–, um sich mit ihr zu unterhalten. Die alte Blanche, wie sie hieß, sollte hochgeistige Gespräche führen. Die Unterhaltung, die sie mit ihren jugendlichen Gästen pflegte, war so kompliziert, dass ein Außenstehender kaum mitkam. Der junge Detektiv näherte sich der Haustür.
Ein junges Mädchen im weißen Kittelöffnete.
»Guten Morgen«, sagte sie freundlich.
Sie sah entzückend aus. Sie trug das seidig schimmernde, hellblonde Haar in zwei ungeflochtenen, dicken Zöpfen, die lustig an ihr aussahen. White pfiff leise durch die Zähne.
»Wenn ich Sie sehe, dann kriege ich direkt Lust, mich behandeln zu lassen. Können Sie mir keinen Komplex empfehlen?« Er grinste von einem Ohr zum anderen. Stuart White wusste, dass er gut aussah, und seine Erfolge bei den Frauen gaben ihm recht. Er hätte an jedem Finger zehn haben können, aber er genoss sein Junggesellenleben. Helen Carter sah ihn mit einem Unschuldsblick an.
»Vielleicht kann Dr. Fond Sie wirklich behandeln«, entgegnete sie leise. Ihre Stimme klang so sexy, wie die junge Dame aussah, und White musste sich dazu zwingen, ihr in die Augen zu sehen und nicht auf den provozierenden Ausschnitt, der ihre beiden Brüste nahezu bloßlegte.»Ich glaube, Sie leiden anübermäßigem Selbstbewusstsein«, fuhr sie fort. Sie zeigte zwei Reihen blitzsauberer Zähne.
»Fein, dann führen Sie mich mal zu Ihrem Doktorchen. Ich glaube, ich bin an der richtigen Adresse.«
Er wollte sich an ihr vorbeidrängen. Aber sie gab den Weg nicht frei. Sie wich auch nicht zurück, als er ihr auf Tuchfühlung gegenüberstand.
»Dr. Fond ist beschäftigt. Wir behandeln nur auf Anmeldung.– Wenn Sie mir jetzt endlich Ihren Namen sagen würden und das Flirten einstellten, dann wäre das vielleicht der erste Schritt ...«
»Zu einem Rendezvous?«, fragte White. Er zog interessiert die Augenbrauen hoch. Wenn er es mit einem besonders hübschen Girl zu tun hatte, dann fiel es ihm schwer, sachlich zu bleiben. Doch in Anbetracht des Auftrages, der ihn hierherführte, war es besser, die Zeit zu nutzen als zu vergeuden.
»Ich muss Dr. Fond in einer privaten Angelegenheit sprechen.« Er reichte der attraktiven Helen mit dem provozierenden Busen seine Karte.»Name und Adresse stehen drauf«, sagte erüberflüssigerweise.
Das Mädchen warf einen Blick auf die Visitenkarte.
»Sie sind Detektiv?«, fragte Helen Carterüberrascht. Er nickte.»Sieht man mir das nicht an?«
Sie senkte den Blick, und Stuart White fuhr fort:»Es geht um eine recht mysteriöse Angelegenheit. Mein Klient wünscht, etwasüber eine bestimmte Person zu erfahren. Und es hat ganz den Anschein, als ob diese Person– eine Dame– eine Patientin von Dr. Fond gewesen ist ...«
»Gewesen ist?«, wiederholte Helen. Sie warf den Kopf zurück, dass die dichten Zöpfe flogen.»Sie reden von ihr– wie von einerToten!« White zuckte die Achseln.»Vielleicht ist sie es auch, man weiß noch nichts Genaues ...« Die Assistentin Dr. Fonds führte den jungen Privatdetektiv ins Haus.
»Bitte warten Sie hier«, sagte sie, während sie eine Schiebetür lautlos zurückgleiten ließ.
White blickte in ein kleines, wohnliches Zimmer, in dem außer einem Barschränkchen, einer lederbezogenen, schweren Polstergarnitur und einem flachen Couchtisch keine weiteren Einrichtungsgegenstände zu sehen waren.
»Ich werde Dr. Fond von Ihrer Anwesenheit sofort unterrichten.« Mit diesen Worten ließ Helen ihn allein. Mit wiegenden Hüften, die sich stramm unter dem enganliegenden Kittel abzeichneten, ging sie davon.
Stuart White zündete sich eine Zigarette an. Er stand eine Weile am Fenster und blickte auf die freundliche Allee hinab, die sich am Haus entlangzog.
Dahinter begann, nach einer hohen Bodenwelle das hügelige Land, die Felder und die