Der Junge war etwa zehn Jahre alt. Er hockte am felsigen Strand und hielt einen schwarzen Kasten in der Hand, an dem er einen Hebel betätigte und verzückt auf ein Spielzeug-Unterseeboot blickte, das einige Meter vom Festland entfernt seine Kreise zog. Das U-Boot war ein Meter lang und drehte langsam nach links ab.
Der Junge erhob sich und spähteüber die zerklüfteten, aus dem Wasser ragenden Felsen. Hinter dem spitzen, scharfkantigen Gestein gab es einen Strudel, in den das Boot gezogen wurde. Hier sammelte sich das Wasser aus verschiedenen Richtungen und sprudelte zwischen den Felsspalten und darüber hinweg. Es war deshalb besonders schwer, dem U-Boot Stabilität zu verleihen.
Paco, der kleine Spanier,übte seine Geschicklichkeit und beherrschte die Fernlenkung immer besser. Er gab den Befehl zum Sinken. Die Kammern des Spielzeug-Bootes füllten sich mit Wasser. Die Wellen schlugen zwischen den kahlen Felsen zusammen und schäumten gegen die Außenhaut des U-Bootes, von dem nur noch der Turm hervorragte. Auch der verschwand schließlich. Drei, vier Minuten lang hielt der Tauchvorgang an, dann trieben die kleinen Elektropumpen das Wasser wieder aus den Kammern. Das U-Boot hätte auftauchen müssen, aber es kam nicht in die Höhe.
Paco wurde nicht gleich unruhig. Er spähte angespannt zu der Stelle hinüber und beobachtete im Wasser einen Schatten. Na also, es klappte doch! Zwischen den Felsen war Platz genug, das hatte er schon erkundet. Da konnte das Boot tauchen, ohne irgendwo in der Tiefe hängen zu bleiben. Der Schatten stieg nach oben. Paco freute sich schon, aber dann gefror sein Lächeln.
Das war nicht sein U-Boot! Was da in die Höhe gespült wurde, war viel größer! Es war länglich wie das U-Boot, aber doppelt so groß und viel breiter. Ein verrotteter Baumstamm?
Der Junge schaltete noch einige Male an seinen Hebeln, ohne jedoch Erfolg zu haben. Da verließ er das Festland und turnteüber die glatten, glitschigen Felsen, die unregelmäßig geformt aus dem Wasser ragten. Paco, der allein in der felsigen Bucht spielte, hatte sich vom Ufer eine lange Stange mitgenommen. Es war der Stiel einer Hacke, den er seinerzeit mal aus dem Garten geholt hatte, als er anfing, fernlenkbare Schiffsmodelle zu bauen. Gerade damals war es mehrfach passiert, dass diese Schiffe zwischen den Felsen festklemmten und er sie mit der Stange herausziehen musste. Paco war da erfinderisch genug. Das Wasser benetzte seine leichten Sandalen und spülte gegen die nackten Beine. Die Sonne stand schon ziemlich tief. In einer Stunde würde es dunkel sein. Bis dahin musste er das U-Boot geborgen haben. Vor allen Dingen wollte er wissen, was für ein Gegenstand das war, der dort herumschwamm.
Paco starrte auf den länglichen, auf dem Wasser schaukelnden Gegenstand. Er warüberwachsen von einer schmierigen grünen Schicht, die aussah wie ein Schimmelpilz. Das Geflecht war dicht und sehr weich, wie er sofort merkte, als er das Objekt vorsichtig mit der Stange anstieß. Paco tippte es oben am runden Ende an. Das dünne Gespinst schob sich unter der Druckstelle weg. Darunter hervor schimmerte aufgedunsene Haut und ein weit aufgerissenes Auge! Paco schrie vor Schreck.
Vor ihm schwamm die Leiche eines Menschen.
Es hielt ihn nichts mehr. Er ließ die Stange fallen und wirbelte herum.
In der Eile stolperte er, rutschte von dem Felsen und fiel ins Wasser. Er raffte sich wieder auf, kletterte durchnässt auf den nächsten aus dem Meer ragenden Stein und eilte an Land zurück.
Es war erst Ende Mai. Der Wind hier an der Costa Brava war noch relativ kalt, und Paco spürte ihn nun umso stärker. Der Junge warf nicht einen einzigen Blick zurück zu der Stelle, wo die wie in einem grünen Kokon eingesponnene Leiche schwamm. Er kümmerte sich nicht mal um seine Fernsteuerung, die er beim Sturz ins Wasser verloren hatte.
„Hilfe!“, rief er und rannte, als säße ihm der Teufel im Nacken.„Da ist ein Toter im Wasser… Onkel Juan… schnell, komm schnell! Das musst du dir ansehen!“
Zwischen den Klippen hallte seine Stimme weit. Aber es war unmöglich, dass Onkel Juan, dessen Haus in den zerklüfteten Bergen lag, sein Schreien hörte. Erstens war er schwerhörig, zweitens schon alt, und außerdem hielt er sich nicht in der Nähe auf. Das einsame Haus, das nurüber einen steilen Trampelpfad zu erreichen war, lag auf der anderen Seite der Straße, die Paco erstüberqueren musste. Die Straße führte in scharfen Kurven an der felsigen Küste der Costa Brava entlang. Es herrschte um diese Jahreszeit kaum noch Verkehr. Da kam nur gelegentlich ein Fahrzeug vorbei. Im Sommer, wenn die Spanien-Touristen hier Urlaub machten, war viel mehr los. Trotz der neuen Autobahn, die quer durchs Land und bis in den Süden führte, gab’s noch viele Autofahrer, die Zeit hatten und sich die zerklüfteten Felsenküste der Costa Brava nicht entgehen ließen.
Paco Servarides kletterteüber Stock und Stein. Auf der anderen Straßenseite gab’s eine Einbuchtung. Dieser Platz wurde oft von autofahrenden Touristen als Parkplatz benutzt. Auch jetzt s