Die Schreckensherberge
von Dan Shocker
(Teil 1)
Man hatte David Roumer gewarnt. Doch er hatte darüber gelacht. Nun aber verging ihm das Lachen.
Gehen Sie nicht in die Herberge!, hörte er noch die Stimmen der Menschen, denen er in Córdoba von seiner Absicht erzählt hatte. Sie hatte keinen bestimmten Namen. Man nannte sie allgemein nurDie Herberge.
Aber er war gegangen. Aus einem ganz bestimmten Grund. Nun wusste er, dass er nicht mehr zurückkehren würde. Es gab ein tödliches Geheimnis um diese rätselhafte alte Herberge aus dem frühen 13. Jahrhundert. Ein Geheimnis, an das er nicht geglaubt hatte.
Er schreckte auf. Das leise Geräusch bohrte sich wie eine glühende Nadelspitze in seinen Körper. Er fühlte, dass etwas in seiner Nähe war. Dieser alte, finstere Raum wurde mit einem Mal drohend, die Wände in der Dunkelheit schienen näher zu rücken. Er hörte das Geräusch der monoton tickenden Uhr laut und schmerzhaft in der Stille, die jetzt wieder durch einen seltsamen, quietschenden Laut unterbrochen wurde.
Träumte er, wachte er? Sein Schädel brummte; er vermochte nicht klar zu denken. Er hatte viel getrunken, er hatte gespielt, und er hatte gewonnen. Sehr viel gewonnen. Es gab einen geheimen Spielsalon in dieser Herberge, der es in sich hatte. Er hatte mit den anderen gefeiert. Die anderen: Spanier, Amerikaner, Engländer, Deutsche. Touristen, die das Besondere suchten; Einzelgänger, die nicht mit Reisegesellschaften unterwegs waren. Abenteurer wie er.
Schweiß perlte auf seiner Stirn. Für einen Augenblick wich der Druck von seinem Hirn und machte klarem, vernünftigem Denken Platz. Er begriff in diesem kurzen Moment, dass die Bewegungsunfähigkeit mit den schweren Lederschlaufen zusammenhing, in denen seine Arm- und Fußgelenke steckten. Er war auf sein Bett gefesselt, auf dieses alte, schwere Himmelbett mit den vier handgeschnitzten Pfosten, dem brüchigen Stoff, der zu beiden Seiten und vor ihm herabhing.Über ihm der mit dem Körper einer nackten Frau geschmückte Himmel. Er fühlte, dass sich dieser Himmel bewegte. Das Grauen packte ihn. Er wollte schreien, doch seine Stimmbänder versagten ihren Dienst. Er glaubte, mit Gewalt an den fest sitzenden Lederschlaufen zu reißen und zu zerren, doch in Wirklichkeit spannte er seine Muskeln kaum an. Ein dumpfes Gurgeln kam aus der Tiefe seiner Kehle, er knurrte wie ein Tier. Speichel lief aus seinen Mundwinkeln.
Wieder dieses quietschende Geräusch. Er spürte, wie das gesamte Bettgestell erbebte. Seine Gesichtshaut spannte sich. Lautlos und geisterhaft kam das schwache, flackernde Licht durch das winzige Fenster zum Hof herein. Im Schein des Lichts sah er die Umrisse des alten Bettes, die große Truhe neben der Tür. Hundert handgroße, scharfe Klingen zeichneten sich unter dem Himmel ab, der sichüber ihm herabsenkte. Es schien, alsöffne sich das Riesenmaul eines Wals. Das Bildnis der nackten Frau war verschwunden. Die todbringenden Messer hatten die Stelle der Venus eingenommen. Das Dachüber ihm knirschte leise, rutschte wieder einige Millimeter tiefer und verringerte den Abstand zu seinem Körper. Er sah es, er begriff die Folgen und fühlte die Angst, die ihm die Kehle zuschnürte. Das Licht vom Hof her verstärkte sich und ließ die dunkelbraunen Schränke, die massiven Bilderrahmen und das Bücherregal auf der anderen Seite des Raumes sichtbar werden.
Wieso dieses Licht? Woher kam es? Seltsam, dass ihn im Augenblick des sicheren Todes noch dieser Gedanke beschäftigte. Es war so unwichtig, so lächerlich– und doch so bedeutungsvoll. Er glaubte nicht daran, dass er träumte. Bis vor wenigen Minuten wäre er noch bereit gewesen, all das, was man sichüberDie Herbergeerzählte, als puren Unsinn abzutun. Während der letzten Minuten jedoch hatte sich seine Einstellung gründlich geändert. Er war bereit zu glauben, dass das tödliche Geheimnis aus dem 13. Jahrhundert seine Wurzeln in die Gegenwart ausstreckte, um ihn zu vernichten.
Das Licht im Hof verschwand. Es wurde stockfinster, Angst ergriff David Roumer. Er musste daran denken, dass der tote spanische Edelmann umging, den vor beinahe 700 Jahren zwei entkommene Häftlinge in dieser Herberge in der Sierra Morenaüberfallen und ermordet hatten, und der seinen Tod an jedem rächte, der in dem Mordzimmerübernachtete. Und, verdammt, befand er sich nicht in diesem Zimmer?
Peter Sokalla warf sich unruhig auf die andere Seite. Er fand keinen rechten Schlaf. Er hatte Kopfschmerzen. Außerdem störten ihn die Geräusche aus dem Nebenzimmer. Ein dumpfer, erstickter Aufschrei, so, als fehle jemandem die Kraft, laut zu rufen.
Ein Schrei? Sokallaöffnete die Augen. Er war sofort hellwach, blickte sich um und lauschte in die Dunkelheit. Die Geräusche kamen aus dem Nebenzimmer. Ein dumpfer Schlag krachte gegen das Bett, als stieße jemand mit dem Kopf gegen das obere Ende. Dann ein markerschütternder Aufschrei! Peter Sokalla hatte das Gefühl, als stünde der Mann,über dessen Lippen dieser entsetzliche Schrei kam, direkt neben ihm. Der junge Deutsche sprang aus dem Bett.Überlaut hörte er das Stöhnen undÄchzen.
Was geschah in dem Zimmer nebenan? Peter Sokalla war kein Typ, der lang nachdachte. Er handelte schnell undüberlegte erst später. Sokalla war ein Abenteurer. Er betätigte sich als Heiratsschwindler und behauptete je nach Bedarf, dass er adligen Geschlechts sei, und prellte manche Gutgläubige und Gutaussehende um beachtliche Beträge. Vor drei Tagen hatte er sich noch in Madrid aufgehalten