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Harley Spondollar hätte einen gewaltsamen Tod erlitten, wäre er nicht am Donnerstag nachts um 1:10 Uhr nach draußen gegangen, um über den Gartenzaun zu klettern und auf die preisgekrönten Rosen seiner Nachbarin zu urinieren. Er hatte die Rosen schon seit fünf Wochen jede Nacht mit seinem Blasenwasser versorgt, und endlich zeigte all die Harnsäure ihre erwünschte Wirkung: Die Blätter wurden fleckig, die Zahl der Rosen schrumpfte und die Blumen warfen ihre Blüten ab, noch bevor die Knospen sich so richtig geöffnet hatten.
Spondollar hatte nichts gegen Rosen. Sein Hass galt einzig und allein Viola Redfern, die nebenan wohnte. Sie war 70 Jahre alt, vielleicht auch 90 – wer zum Teufel wusste das schon? Spondollar war sich sicher, dass das alte Miststück niemals sterben würde. Unermüdlich versorgte sie ihre Nachbarn mit selbst gebackenen Keksen und Kuchen, mit Rosen aus ihrem Garten und mit Pullovern, die sie strickte. Als Spondollar krank war, brachte sie ihm einen Topf mit hausgemachter Suppe. Sie beschwerte sich nie, wenn er seine Musik in voller Lautstärke hörte oder draußen auf seiner Veranda hockte und alles – von Eichhörnchen bis zu vorübergehenden Kindern – aus Leibeskräften beschimpfte. Sie hatte scharenweise Enkel und Urenkel, die sie ständig besuchten und so höflich und leise und artig waren, dass Spondollar sich am liebsten übergeben hätte.
Am Mittwochabend und früh in der Nacht zum Donnerstag hatte sich Spondollar besonders viel Mühe gegeben, so viel Bier zu trinken, dass er imstande sein würde, den kostbaren Rosen seiner Nachbarin den Todesstoß zu versetzen. Viola war so langweilig und berechenbar wie jede andere alte Schachtel. Jeden Abend ging sie um Punkt neun Uhr ins Bett und sank unter der Last ihrer Falten und Hautlappen in den Schlaf, während sie in einem Buch las. Heute jedoch blieb sie über Nacht bei einer Enkelin, um den zehnten Geburtstag einer Urenkelin zu feiern.
Eine von Harley Spondollars größten Freuden im Leben war es, andere Leute zur Weißglut zu bringen und dann so lange psychologische Spielchen mit ihnen zu spielen, bis sie ihre Ungeduld und Empörung dermaßen bedauerten, dass sie sich schließlich dafür entschuldigten, sich gegen seine Rüpelhaftigkeit aufgelehnt zu haben. Viola ließ sich nicht zur Weißglut bringen. Sie schien Beleidigungen gar nicht wahrzunehmen und verfügte über einen schier unendlichen Vorrat an Geduld. Neben jemandem wie ihr zu wohnen war kein Spaß.
Und so stand er in der zweiten Stunde dieses Donnerstags in ihrem Garten, das Gesicht auf sein eigenes Haus gerichtet, und bedachte ihre Rosen in dieser milden Sommernacht an der Küste Oregons mit dem kräftigsten Strahl, den er aufbringen konnte, als sich die Luft plötzlich mit einem elektronischen Brummen füllte, das sich wie die Rückkopplung eines riesigen Verstärkers anhörte. Zuerst war das Geräusch ohne erkennbare Quelle das einzige Vorkommnis. Ein knisterndes Rauschen erhob sich, als würde man ein 100 Meter langes Stück Zellophanfolie zu einem Ball zusammenknautschen, und wurde lauter als das Brummen. Die Lichter erloschen. Dann implodierte sein Haus. Die Veranda und die Mauern und das Dach fielen wie eine nasse Sandburg am Strand in sich zusammen und stürzten mit einer Wucht ein, als befände sich in der Mitte des Gebäudes ein schwarzes Loch, das das Hau