1. KAPITEL
Little Havana, der von kubanischen Immigranten geprägte Ortsteil Miamis, hatte ein ganz besonderes Flair. Jen Miller spürte es jeden Tag aufs Neue, wenn sie ihr Auto in einer Nebenstraße der Calle Ocho parkte und sich auf den Weg zumLuna Azul machte. In diesem Nachtclub hatte sie noch einmal von vorn angefangen. Sie war den Betreibern des Clubs, den drei Stern-Brüdern, dankbar für diese Chance: Ein Job als Tanzlehrerin, genauer gesagt, als Salsa-Lehrerin – das war doch nicht schlecht für einen Neustart!
Die Stern-Brüder hatten einen kleinen Skandal ausgelöst, als sie vor zehn Jahren die alte Zigarrenfabrik im Herzen von Little Havana erworben und in einen der beliebtesten Nachtclubs von Miami verwandelt hatten.
Noch heute, nach all den Jahren, wurde ihnen das von nicht wenigen der alteingesessenen kubanisch-amerikanischen Einwohner des Stadtteils verübelt. Diese betrachteten die Sterns als Eindringlinge. Jen betrat dasLuna Azul und blieb einen Moment lang stehen, um tief durchzuatmen. Sie blickte zur Decke, die wie ein Nachthimmel aussah und mit einem großen blauen Mond bemalt war.Luna Azul , das war Spanisch und bedeutete „blauer Mond“. Der ungewöhnlich gefärbte Himmelskörper war das Markenzeichen des Clubs; er war im Logo und auch auf den Uniformen des Personals zu sehen.
Schon jetzt fühlte Jen sich, als ob sie für immer dazugehören würde. Es machte ihr viel Spaß, hier zu arbeiten.
Besonders glücklich war sie darüber, endlich wieder tanzen zu können. Vor drei Jahren hatte sie eine falsche Entscheidung getroffen, weil sie auf ihr Herz statt auf ihren Verstand gehört hatte, und war als Folge davon vom professionellen Tanzsport ausgeschlossen worden.
Aber jetzt war sie zurück und durfte anderen Leuten ihren absoluten Lieblingstanz beibringen: die Salsa. Eigentlich war es ein lateinamerikanischer Tanz – und obwohl sie zur weißen Mittelschicht gehörte, hatte sie das Gefühl, als sei er speziell für sie geschaffen worden.
Wie sie feststellte, wurde die große Bühne schon für die Abendvorstellung vorbereitet. Heute sollte dort XSU auftreten, die englische Rockband, die Amerika im vergangenen Jahr im Sturm erobert hatte. Ihre Schwester und ihre beste Freundin hatten sie förmlich angebettelt, ihnen Karten zu besorgen – und es war ihr gelungen. Auch Jen hätte die Rockstars gern live gesehen, aber zum Zeitpunkt ihres Auftritts würde sie arbeiten müssen.
Der Club war in verschiedene Bereiche aufgeteilt. Im Erdgeschoss vor der Bühne befand sich die große Tanzfläche, um die herum Tische und gemütliche kleine Separees angeordnet waren. Im Obergeschoss, wo sie die meiste Zeit verbrachte, gab es einen Übungsraum mit einer kleinen Bar sowie eine Balkonbrüstung, von der aus man das Geschehen im Erdgeschoss beobachten konnte. Doch das Schönste im Obergeschoss war die Bühne im hinteren Teil des großen Raumes, wo die berühmtesten lateinamerikanischen Gruppen auftraten. Stammgäste und Prominente tanzten jeden Abend ausgelassen zu den Salsaklängen.
Und ich bin immer mittendrin, dachte Jen zufrieden. Sie brachte den Kunden Salsa bei und zeigte ihnen, was dieser Tanz alles zu bieten hatte.