Viel mehr als nur ein Sammelgefäß
Stellen Sie sich vor: Ihre Hausärztin untersucht bei einem Gesundheits-Check-up Ihre Bauchorgane per Ultraschall und stellt fest, dass Sie eine leichte Fettleber haben.
Sicherlich wird Sie diese Aussage alarmieren. Sie werden sich schlau machen, welche Funktionen die Leber eigentlich genau erfüllt, was die Bezeichnung »Fettleber« bedeutet und was Sie tun können, damit dieses wichtige Organ in Ihrem Körper wieder gut funktioniert. Vielleicht kaufen Sie sich in der Apotheke gleich einen Leberstärkungstee und trinken ihn, obwohl er bitter schmeckt. Oder Sie bekommen von Ihrer Freundin, mit der Sie darüber sprechen, den Tipp, einmal täglich einen Leberwickel zu machen, um die Leber bei ihrer Arbeit zu unterstützen. Oder Sie überlegen sogar, wenn Ihnen klar wird, wie es zur Fettleber kommen konnte, eine Leberkur zu machen oder ein Fastenprogramm speziell für die Leber durchzuführen. Denn Ihnen leuchtet unmittelbar ein, dass die Leber ein zentrales Organ des menschlichen Körpers ist und dass sie direkt mit Ihrer Gesundheit und Ihrem Wohlbefinden verbunden ist. Da kümmern Sie sich gern um sie.
Bei der Blase sieht die Situation anders aus. Wir stellen sie uns als eine Art Gefäß »da unten« vor, das den Urin sammelt und das bei passender Gelegenheit entleert wird. Fertig. Solange unsere Blase einwandfrei funktioniert, verschwenden wir keinen einzigen Gedanken an sie. Erst wenn das vermeintlich simple Sammelgefäß undicht wird, wir also ungewollt Urin verlieren, nur noch ein geringes Fassungsvermögen hat und wir viel öfter, als uns lieb ist, auf die Toilette müssen, oder wir unter häufigen, schmerzhaften Blasenentzündungen leiden, gerät die Blase in unseren Fokus. Aber auch dann auf eine wenig fürsorgliche Art und Weise: Die ständig drückende Blase nervt. Sie ist ein Übel. Sie verleidet Ihnen das Leben. Sie soll gefälligst so funktionieren wie früher.
Die Blase als Seismograffür Stress
Mit dieser Sichtweise werden wir diesem Organ – und ich schreibe hier bewusst »Organ« – jedoch nicht gerecht. Denn Ihre Blase ist viel sensibler, feinfühliger und empfindlicher als beispielsweise Ihre Leber. Ihrer Leber ist es herzlich egal, wie Sie sich fühlen. Sie arbeitet einfach immer, Tag und Nacht.
Ihre Blase dagegen ist wie ein Seismograf, der zu viel Stress und Hektik, Verspannungen oder zu wenig Schlaf zuverlässig registriert. Mehr noch, Ihre Blase arbeitet mit Ihnen zusammen.
Sie stellt ihre Bedürfnisse zurück, wenn es Ihnen gerade nicht passt. Sicherlich können Sie sich auch an Situationen erinnern, wie diese: Sie sind auf der Arbeit und eigentlich gerade auf dem Weg zur Toilette, weil Ihre Blase heftig drückt. Nun kommt Ihnen Ihre Chefin oder ein Kollege entgegen und verwickelt Sie in ein Gespräch; Sie müssen dringend einige Unterlagen zusammenstellen, was Sie sofort erledigen. Viel später fällt Ihnen auf, dass Sie noch immer nicht zur Toilette gegangen sind. Ihre Blase ist voll und dennoch mucksmäuschenstill.
Wir können also an dieser Stelle schon einmal festhalten, dass Ihre Blase weit mehr ist als ein Gefäß und nicht so schlicht funktioniert wie die Toilettenspülung, bei der man nur den Knopf drücken muss. Sicherlich haben Sie bei näherer Betrachtung auch schon bemerkt, dass Ihre Blase mit Ihrem Befinden verknüpft ist: Sind Sie nervös und aufgeregt, ist die Blase es auch und muss ständig »für kleine Mädchen«, obwohl kaum etwas drinnen ist. Oder wenn Sie sehr angespannt sind, kann sie sich nicht vollständig und nur zögerlich entleeren. Wenn Sie dagegen vollkommen entspannt sind, kann auch die Blase wunderbar »loslassen«, und der Urin kommt mit einem satten Strahl heraus.
Wenn ich Sie jetzt ein wenig neugierig gemacht habe, woher die Blase weiß, wie es uns gerade geht und wann sie ihre Schleusen öffnen darf und wann nicht, war es genau das, was ich wollte. Dazu brauchen wir zunächst die Anatomie der Blase. Wir müssen genau auf di