: Karl May
: Der Schut
: Null Papier Verlag
: 9783954187287
: Karl May bei Null Papier
: 3
: CHF 2.20
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: Spannung
: German
: 536
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Überarbeitete Ausgabe in Neuer Deutscher Rechtschreibung Nach Abenteuern in der Teufelsschlucht und bei der Juwelenhöhle treffen Kara Ben Nemsi und seine Begleiter erneut auf Sir David Lindsay und schließlich auf das Oberhaupt der Verbrecher, den 'Schut'. Viele gefährliche Situationen müssen überwunden werden, bevor die Jagd, die in der tunesischen Wüste begann, in Albanien zu Ende geht. Null Papier Verlag

Karl Friedrich May (25.02.1842-30.03.1912) war ein weltweit erfolgreicher, deutscher Autor von Abenteuergeschichten und historischen Erzählungen. Er war sehr produktiv, sein Werk umfasst Hunderte von Fortsetzungsromanen, Novellen und Geschichten. Er ist einer der am häufigsten übersetzten deutschen Schriftsteller. Die weltweite Auflage seiner Werke wird auf 200 Millionen geschätzt, davon 100 Millionen in Deutschland (Stand 2015). Bekannt wurde er vor allem durch seine Reiseerzählungen, die vorwiegend im Orient, in den Vereinigten Staaten und in Mexiko Ende des 19. Jahrhunderts spielen. Besondere Berühmtheit erlangten die Geschichten um den Indianerhäuptling Winnetou. Viele seiner Werke wurden verfilmt.

Ha­lef in Ge­fahr
          


Is­rad, un­ser Füh­rer, er­wies sich als ein mun­te­rer Bur­sche. Er er­zähl­te uns in­ter­essan­te Epi­so­den aus sei­nem Le­ben und gab uns lus­ti­ge Schil­de­run­gen von Land und Leu­ten, so­dass wir gar nicht dar­an dach­ten, die Zeit zu mes­sen.

Die frucht­ba­re Ebe­ne von Mu­stafa liegt ei­gent­lich am lin­ken Ufer des War­dar, wo­her wir ge­kom­men wa­ren. Am rech­ten, an wel­chem wir uns be­fan­den, steigt das Ter­rain mä­ßig em­por, doch ist das Land noch sehr frucht­bar. Wir ka­men an rei­chen Baum­woll- und Ta­bak­fel­dern vor­über und sa­hen frucht­tra­gen­de Li­mo­ni­en ste­hen. Doch sag­te Is­rad, dass dies bald auf­hö­ren und wir jen­seits der Tres­ka so­gar durch Ge­gen­den kom­men wür­den, wel­che ›merat­lü‹ sei­en.

Um zu wis­sen, was die­ses Wort be­deu­tet, muss man sich dar­an er­in­nern, dass der Grund und Bo­den des os­ma­ni­schen Rei­ches in fünf ver­schie­de­ne Klas­sen ein­ge­teilt wird.

Die ers­te Klas­se ist der ›Mi­rieh‹, das heißt das Land der Staats­do­mä­nen, zu wel­chem selbst­ver­ständ­lich nicht der un­frucht­bars­te Bo­den ge­hört. Dann kommt der ›Wa­kuf‹, das Ei­gen­tum der from­men Stif­tun­gen. Die­ser Klas­se fällt ohne Wei­te­res al­les Land zu, des­sen Be­sit­zer ohne Hin­ter­las­sung di­rek­ter Er­ben stirbt. Die drit­te Klas­se fasst den ›Mül­k‹, den Pri­vat­grund­be­sitz, in sich. Die Be­sitz­ti­tel wer­den in der Re­gel nicht nach ei­ner ge­nau­en Mes­sung, wie bei uns, son­dern nach un­ge­fäh­rer Schät­zung aus­ge­stellt. Für je­den Wech­sel des Be­sit­zes, also Kauf, ist die Ge­neh­mi­gung der Re­gie­rung er­for­der­lich, wel­che bei den dor­ti­gen Ver­hält­nis­sen meist nur durch die Be­ste­chung der be­tref­fen­den Be­am­ten er­langt wer­den kann. Der Mülk lei­det auch au­ßer­or­dent­lich un­ter den Miss­bräu­chen, wel­che bei der Steu­e­rer­he­bung ein­ge­ris­sen sind. So hat zum Bei­spiel die Bo­den­wirt­schaft zehn Pro­zent Na­tu­ral­ab­ga­be zu ent­rich­ten. Die Steu­er­päch­ter ver­schie­ben aber ge­wöhn­lich die Ein­ho­lung die­ses Zehnts so lan­ge, bis die Früch­te in Fäul­nis über­zu­ge­hen dro­hen und der Land­wirt mehr als zehn vom Hun­dert bie­tet, um den Er­trag sei­ner Ern­te ret­ten zu kön­nen. In die nächs­te Klas­se, ›Me­tron­keh‹ ge­nannt, ge­hö­ren die Stra­ßen, öf­fent­li­chen Plät­ze und Com­mu­nal-Grund­stücke. Die Ver­kehrs­we­ge be­fin­den sich meist in ei­nem be­kla­gens­wer­ten Zu­stand, was ein Haupt­grund für die wirt­schaft­li­che Not­la­ge des Lan­des ist. Die letz­te Klas­se wird ›Me­rat‹ ge­nannt und be­greift al­les wüs­te und un­pro­duk­ti­ve Land in sich. Die­ses war es, was un­ser Füh­rer mein­te.

Wir hat­ten zwei oder drei fla­che Ter­ras­sen zu er­stei­gen und ka­men dann zu der Ho­chebe­ne, wel­che im Wes­ten steil nach den Ufern der Tres­ka ab­fällt. Hier rit­ten wir durch ei­ni­ge klei­ne Dör­fer. Der größ­te und be­deu­tends­te Ort die­ser Ebe­ne, Ban­ja, blieb links von uns lie­gen.

Da wir wuss­ten, dass Is­rad uns in ge­ra­des­ter Rich­tung füh­ren wer­de, hat­te ich nicht da­nach ge­trach­tet, die Spu­ren des uns vor­an­ge­rit­te­nen Suef auf­zu­su­chen. Es hät­te uns das nichts nüt­zen kön­nen, son­dern nur zur Ver­zö­ge­rung un­se­res Rit­tes ge­führt. Nach­dem wir un­ge­fähr vier Stun­den un­ter­wegs wa­ren, ka­men wir durch einen sehr lich­ten Wald, des­sen Bäu­me weit aus­ein­an­der stan­den. Dort tra­fen wir die Fähr­te ei­nes ein­zel­nen Rei­ters, wel­che von links auf un­se­re Rich­tung stieß. Ich be­trach­te­te sie aus dem Sat­tel her­ab. Es war zwar nicht mit vol­ler Be­stimmt­heit zu be­haup­ten, aber es ließ sich ver­mu­ten, dass es die Fähr­te Suefs sei, zu­mal das Pferd so scharf aus­ge­grif­fen hat­te, dass an­zu­neh­men war, der Rei­ter habe große Eile ge­habt. Da sie in un­se­rer Rich­tung wei­ter­führ­te, folg­ten wir ihr, bis nach ei­ni­ger Zeit eine zu­sam­men­ge­setz­te­re Fähr­te von rechts her kam.

Jetzt stieg ich ab. Wer ei­ni­ger­ma­ßen Übung be­sitzt, kann un­schwer er­ken­nen, von wie vie­len Pfer­den eine sol­che Spur ge­macht wur­de, falls es nicht gar zu vie­le ge­we­sen sind. Ich sah, dass fünf Rei­ter hier ge­rit­ten sei­en; also wa­ren es höchst wahr­schein­lich die von uns Ge­such­ten ge­we­sen. Aus der be­reits ab­ge­stumpf­ten Schär­fe der Rän­der an den Huf­ein­drücken ent­nahm ich, dass die­se Leu­te vor un­ge­fähr sie­ben Stun­den hier vor­über­ge­kom­men sei­en.

Bei ei­ner sol­chen Schät­zung hat man sehr vie­les zu be­rück­sich­ti­gen: die Wit­te­rung, die Art des Bo­dens, ob er hart oder weich, san­dig oder leh­mig ist, ob er kahl liegt oder mit Pflan­zen be­wach­sen, viel­leicht dünn mit Laub be­deckt ist. Auch auf die Luft­be­we­gung und die Ta­ges­wär­me hat man Obacht zu ge­ben, da die Son­ne oder schar­fe Luft die Spu­ren schnell aus­trock­net, so­dass die Rän­der eher brö­ckeln, als wenn es kalt und wind­still ist. Der Un­ge­üb­te kann bei ei­ner sol­chen Be­ur­tei­lung sehr leicht ein höchst ir­ri­ges Re­sul­tat er­zie­len.

Nun rit­ten wir auf die­ser Fähr­te fort. Nach ei­ni­ger Zeit ging der Wald zu Ende, und wir ka­men wie­der auf frei­es Land. Eine Art von Weg kreuz­te hier­auf un­se­re Rich­tung, und wir sa­hen, dass die Fähr­te da nach rechts ab­bog, um die­sem Pfad zu fol­gen. Ich blieb also hal­ten und zog mein Fern­rohr her­vor, um nach­zu­for­schen, ob ich viel­leicht einen Ort, einen Ge­gen­stand, ein Ge­höft zum Bei­spiel, fin­den kön­ne, um des­sent­wil­len die Rei­ter hier ab­ge­bo­gen wa­ren. Ich konn­te aber nichts der­glei­chen se­hen.

»Was tun wir nun, Sih­di?« frag­te Ha­lef. »Wir kön­nen auf der Fähr­te blei­ben, und wir kön­nen Is­rad wei­ter fol­gen.«

»Ich ent­schlie­ße mich für das letz­te­re,« ant­wor­te­te ich. »Die­se Leu­te sind doch nur für kur­ze Zeit ab­ge­wi­chen und wer­den spä­ter si­cher wie­der her­über­len­ken. Wir wis­sen, wo­hin sie wol­len, und wer­den uns be­ei­len, dort auch an­zu­kom­men. Vor­wärts also, wie bis­her!«

Ich woll­te mein Pferd in Be­we­gung set­zen, doch Is­rad sag­te:

»Vi­el­leicht ist es doch ge­ra­ten, ih­nen zu fol­gen, Ef­fen­di. Da drü­ben rechts zieht sich ein brei­ter Grund hin, was wir von hier aus nicht se­hen kön­nen. In dem­sel­ben liegt ein klei­ner Köjlüs­tan,1 in wel­chem die Män­ner, de­nen wir fol­gen, viel­leicht ein­ge­kehrt sind.«

»Was kön­nen wir dort er­fah­ren? Sie wer­den sich nicht lan­ge dort auf­ge­hal­ten ha­ben, son­dern nur um einen Trunk Was­ser oder um einen Bis­sen Brot ge­be­ten ha­ben. Kei­nes­falls ist an­zu­neh­men, dass sie ge­gen­über den dort woh­nen­den Leu­ten sehr mit­teil­sam ge­we­sen sind. Rei­ten wir wei­ter!«

Aber schon nach kur­z­er Zeit wur­de ich an­de­rer Mei­nung. Die Spu­ren ka­men von rechts zu­rück, und nach ei­nem nur ober­fläch­li­chen Blick be­merk­te ich, dass sie ziem­lich neu wa­ren. Ich stieg also er­neut ab, um sie sorg­fäl­tig zu prü­fen. Ich fand, dass sie kaum zwei Stun­den alt wa­ren. Die Rei­ter hat­ten sich also etwa fünf Stun­den lang in dem...