Unter Dieben
Im Süden von den großen syrischen und mesopotamischen Wüsteneinöden liegt, vom Roten Meer und vom Persischen Golf umgeben, die Halbinsel Arabien, welche ihre äußerste Kante weit in das stürmereiche arabisch-indische Meer hinein erstreckt.
An drei Seiten ist dieses Land von einem zwar schmalen, aber außerordentlich fruchtbaren Küstensaume eingefasst, welcher nach innen zu einer weiten, wüsten Hochebene emporsteigt, deren teils trübselige, teils groteske Landschaftsbilder besonders im Osten durch hohe, unwegsame Gebirgsstöcke abgeschlossen werden, zu denen ganz hauptsächlich die öden Berge von Schammar zu zählen sind.
Dieses Land, dessen Quadratmeilenzahl man heute noch nicht genau anzugeben vermag, wurde im Altertum eingeteilt in »Arabia Petraea«, in »Arabia Deserta« und in »Arabia Felix«, zu Deutsch: in das petraeische, wüste und glückliche Arabien. Wenn noch öfters jetzt gewisse Geografen der Ansicht sind, dass der Ausdruck »Petraea« abzuleiten sei von dem griechisch-lateinischen Wort, das »Stein, Fels« bedeutet, und deshalb diesen Teil des Landes das »steinichte« Arabien nennen, so beruht das auf einer irrtümlichen Auffassung; dieser Name ist vielmehr zurückzuführen auf das alte Petra, welches die Hauptstadt dieser nördlichsten Provinz des Landes war. Der Araber nennt seine Heimat »Dschisrat el Arab«,1 während sie bei den Türken und Persern »Arabistan« genannt wird. Die jetzige Einteilung wird verschieden angegeben; die nomadisierenden Einwohner lassen jedoch nur den einzigen Unterschied der Stämme gelten.
Über diesem Lande wölbt sich ein ewig heiterer Himmel, von welchem des Nachts die Sterne rein und klar herniederblicken; durch die Bergschluchten und über die zum großen Teil noch unerforschten Wüstenebenen schweift der halbwilde Sohn der Steppe auf prachtvollem Pferd oder auf unermüdlichem Kamel. Sein Auge ist überall, denn er lebt mit aller Welt in Streit und Unfrieden, nur mit den Angehörigen seines Stammes nicht. Von einer Grenze bis zur anderen zieht bald der sanfte Hauch einer reinen, milden, bald der rauschende Odem einer trüben, wilden Poesie, welcher den Wanderer überall umweht, wo er nur immer weilen mag. So kommt es, dass man bereits vor langen Jahrhunderten Hunderte von arabischen Dichtern und Dichterinnen kannte, deren Lieder im Munde des Volkes lebten und die mit Hilfe des Griffels für spätere Zeiten festgehalten wurden.
Als Stammvater der echten Araber oder Joktaniden gilt Joktan, der Sohn Huds, welcher ein Abkömmling Sems im fünften Gliede war, und dessen Nachkommen das glückliche Arabien und die Küste Tehama bis hinab zum Persischen Golf bewohnten. Jetzt suchen viele Stämme eine Ehre darin, von Ismael, dem Sohne Hagars, abzustammen.
Dieser Ismael soll, wie die Sage berichtet, mit seinem Vater Abraham nach Mekka gekommen sein und dort die heilige Kaaba errichtet haben. Das Wahre aber ist, dass die Kaaba von dem Stamme der Koreischiten gestiftet oder wenigstens ausgebaut wurde. Unter den Heiligtümern, die sie besaß, waren der Brunnen Zem-Zem und der angeblich vom Himmel gefallene schwarze Stein die berühmtesten.
Hierher pilgerten die verschiedenen Stämme der Araber, um da ihre Stamm- oder auch wohl Hausgötzen aufzustellen und ihnen ihre Opfer und Gebete darzubringen. Daher war Mekka den Arabern das, was Delphi den Griechen und Jerusalem den Juden gewesen ist; es bildete den Mittelpunkt für die weithin zerstreuten Nomaden, die sich ohne denselben in allen Richtungen verloren hätten.
Da sich dieser hochwichtige Punkt im Besitz der Koreischiten befand, so war dieser Stamm der mächtigste und angesehenste Arabiens und infolgedessen auch der reichste, weil die von allen Seiten herbeikommenden Pilger nie ohne Geschenke oder wertvolle Handelswaren anzulangen pflegten.
Ein armer Angehöriger dieses Stammes, Namens Abd Allah,2 starb im Jahre 570 nach Christus, und einige Monate später, am 20. April 571, der auf einen Montag fiel, gebar seine Witwe Amina einen Knaben, welcher später Mohammed3 genannt wurde. Es ist sehr wahrscheinlich, dass der Knabe vorher einen anderen Namen getragen hat und erst dann, als seine prophetische Wirksamkeit ihn zu einem hervorragenden Mann machte, den Ehrennamen Mohammed erhielt. Dieser Name wird auch Muhammed, Mohammad und Muhammad geschrieben, und aus Ehrfurcht vor dem Propheten wagt es nie ein Gläubiger, ihn in dieser Fassung zu tragen; das Wort wird dann meist in Mehemmed verwandelt.
Dem Knaben waren von seinem Vater nur zwei Kamele, fünf Schafe und eine abyssinische Sklavin hinterlassen worden, weswegen er sich zunächst auf den Schutz seines Großvaters Abd-al-Mokalib und nach dessen Tode auf die Unterstützung seiner beiden Onkel Zuheir und Abu Taleb angewiesen sah. Da diese Männer aber nicht viel für ihn tun konnten, so musste er sich sein Brot als Schafhirtenjunge verdienen. Später wurde er Kameltreiber und Bogen- und Köcherträger, wobei sich wahrscheinlich sein kriegerischer Sinn entwickelt hat.
Als er fünfundzwanzig Jahre zählte, trat er in den Dienst der reichen Kaufmannswitwe Chadidscha, der er mit solcher Treue und Aufopferung diente, dass sie ihn lieb gewann und ihn zu ihrem Gemahl machte. Das große Vermögen seiner Frau ging ihm aber später verloren. Er lebte nun bis zu seinem vierzigsten Jahre als Kaufmann und Händler. Er kam auf seinen weiten Reisen mit Juden und Christen, mit Brahmanen und Feueranbetern zusammen und gab sich Mühe, ihre Religionen kennen zu lernen. Er litt an der Epilepsie und in Folge dessen an einer Verstimmung des Nervensystems, welche ihn sehr zu Halluzinationen geneigt machte. Seine religiösen Grübeleien waren der Heilung dieser Krankheit nicht sehr förderlich. Er zog sich schließlich gar in eine Höhle zurück, welche in der Nähe von Mekka auf dem Berge Hira lag. Hier hatte er seine ersten Visionen.
Der Kreis der Gläubigen, welcher sich um ihn versammelte, bestand zunächst nur aus seiner Frau Chadidscha, aus seinem Sklaven Zaïd, aus den beiden Mekkanern Othman und Abu Bakr und aus seinem jungen Vetter Ali, der später den Ehrennamen Areth-Allah4 erhielt und zu den unglücklichsten Helden des...