: Karl May
: Durch das Land der Skipetaren
: Null Papier Verlag
: 9783954187256
: Karl May bei Null Papier
: 3
: CHF 2.20
:
: Spannung
: German
: 588
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Überarbeitete Ausgabe in Neuer Deutscher Rechtschreibung Auf dem Balkan folgen Kara Ben Nemsi und seine Gefährten den Spuren der Verbrecher. Dabei begegnen sie den gefürchteten »Aladschy«, gelangen zur »Schluchthütte«, die ihnen zur Falle werden soll, und erleben eine dramatische sowie lustige Episode im »Turm der alten Mutter«. Null Papier Verlag

Karl Friedrich May (25.02.1842-30.03.1912) war ein weltweit erfolgreicher, deutscher Autor von Abenteuergeschichten und historischen Erzählungen. Er war sehr produktiv, sein Werk umfasst Hunderte von Fortsetzungsromanen, Novellen und Geschichten. Er ist einer der am häufigsten übersetzten deutschen Schriftsteller. Die weltweite Auflage seiner Werke wird auf 200 Millionen geschätzt, davon 100 Millionen in Deutschland (Stand 2015). Bekannt wurde er vor allem durch seine Reiseerzählungen, die vorwiegend im Orient, in den Vereinigten Staaten und in Mexiko Ende des 19. Jahrhunderts spielen. Besondere Berühmtheit erlangten die Geschichten um den Indianerhäuptling Winnetou. Viele seiner Werke wurden verfilmt.

Ent­larvt
          


Die Däm­me­rung war be­reits ein­ge­tre­ten. Auf dem Weg zum Ge­richts­ge­bäu­de stan­den vie­le Men­schen. Sie hat­ten im Hof kei­nen Platz mehr ge­fun­den und sich hier auf­ge­stellt, um uns we­nigs­tens kom­men zu se­hen.

Als wir den Hof be­tra­ten, wur­de das Tor hin­ter uns ver­schlos­sen. Das war für uns kein gu­tes Zei­chen. Der Mü­ba­rek hat­te sei­nen Ein­fluss gel­tend ge­macht und zwar nicht ohne Er­folg, wie es schi­en.

Wir konn­ten kaum durch die Men­ge bis an den Platz des Ver­hörs ge­lan­gen. Wo vor­her nur ein Stuhl ge­stan­den hat­te, war jetzt noch eine lan­ge Bank auf­ge­stellt. Der Ap­pa­rat zur Bas­ton­na­de lag noch an der­sel­ben Stel­le.

Man hat­te Öl in Ge­fäße ge­gos­sen, Werg hin­ein ge­tan und das­sel­be an­ge­zün­det. Die­se Flam­men lie­ßen al­les in ei­nem aben­teu­er­li­chen Licht er­schei­nen.

Die Her­ren vom Ge­richt be­fan­den sich im In­nern des Hau­ses. Un­se­re An­kunft wur­de ih­nen ge­mel­det. Die Kha­was­sen pos­tier­ten sich so um uns, dass sie den Weg zum Tor ver­sperr­ten. Da das­sel­be ver­schlos­sen war, ließ sich die­ses Ver­hal­ten der Po­li­zis­ten dop­pelt be­denk­lich für uns deu­ten.

Laut­lo­se Stil­le herrsch­te rund­um. Jetzt er­schie­nen die fünf Her­ren, und so­fort zo­gen die Kha­was­sen blank.

»O Al­lah!« sag­te Ha­lef. »Wie wird es uns er­ge­hen, Sih­di! Ich zit­te­re vor Angst.«

»Ich eben­falls.«

»Soll ich die­sen dum­men Men­schen, die da glau­ben, uns mit ih­ren Sä­beln ban­ge zu ma­chen, mei­ne Peit­sche schme­cken las­sen?«

»Kei­ne Dumm­heit! Du warst heu­te schon ein­mal vor­ei­lig und trägst die Schuld, dass wir uns über­haupt hier be­fin­den.«

Die fünf Rich­ter hat­ten Platz ge­nom­men: der Kadi Ba­scha auf dem Stuhl und die an­de­ren auf der Bank. Eine Frau dräng­te sich aus der Men­ge her­bei und nahm hin­ter dem Naïb1 Stel­lung. Ich er­kann­te No­hu­da, die Erb­se, wel­che ih­rer Schön­heit mit Ei­se­no­cker nach­half. Der Stell­ver­tre­ter war also wohl ihr glück­li­cher Ehe­mann. Er hat­te sehr nichts­sa­gen­de Ge­sichts­zü­ge.

Ne­ben dem Kadi Ba­scha saß der Mü­ba­rek. Er hat­te ein Pa­pier quer über das Knie ge­legt. Zwi­schen ihm und sei­nem Nach­barn stand ein klei­ner Topf. Da eine Gän­se­fe­der in dem­sel­ben steck­te, so ver­mu­te­te ich, dass er die Tin­te ent­hal­te.

Der Kadi Ba­scha wa­ckel­te mit dem Kopf und räus­per­te sich auf­fäl­lig. Dies war das Zei­chen, dass die Ver­hand­lung be­gin­nen soll­te. Er be­gann mit krä­hen­der, weit­hin schal­len­der Stim­me:

»Im Na­men des Pro­phe­ten und im Na­men des Pa­disch­ah, dem Al­lah tau­send Jah­re ver­lei­hen wol­le! Wir ha­ben die­se Kasa zu­sam­men­be­ru­fen, um über zwei Ver­bre­chen zu ur­tei­len, wel­che sich heu­te in un­se­rer Stadt und in de­ren Nähe er­eig­net ha­ben. Se­lim, tritt vor! Du bist der An­klä­ger. Er­zäh­le nun, was mit Dir ge­sche­hen ist.«

Der Kha­waß trat in die Nähe sei­nes Herrn und er­zähl­te. Was wir zu hö­ren be­ka­men, war ge­ra­de­zu lä­cher­lich. Er hat­te sich in der an­ge­streng­tes­ten amt­li­chen Tä­tig­keit be­fun­den und war von uns mör­de­risch über­fal­len wor­den. Nur durch Uner­schro­cken­heit und durch die tap­fers­te Ge­gen­wehr war es ihm ge­lun­gen, sein Le­ben zu ret­ten, sag­te er.

Als er ge­en­det hat­te, frag­te ihn der Kadi:

»Und wel­cher ist es, der Dich schlug?«

»Die­ser hier ist es,« ant­wor­te­te er, auf Ha­lef deu­tend.

»So ken­nen wir nun ihn und sei­ne Tat und wer­den zur Be­ra­tung schrei­ten.«

Er be­gann mit sei­nen Bei­sit­zern zu flüs­tern, und er­klär­te nach ei­ner Wei­le mit lau­ter Stim­me:

»Die Kasa hat be­schlos­sen, dass der Ver­bre­cher auf jede Fuß­soh­le vier­zig Hie­be er­hal­ten und dann vier vol­le Wo­chen ein­ge­sperrt wer­den soll. Das ver­kün­di­gen wir im Na­men des Pa­disch­ah. Al­lah seg­ne ihn!«

Ha­lefs Hand fuhr an den Griff sei­ner Peit­sche. Ich muss­te mir Mühe ge­ben, nicht laut auf­zu­la­chen.

»Jetzt kommt das zwei­te Ver­bre­chen,« ver­kün­de­te der Be­am­te. »Ma­wu­n­ad­schi, tritt vor, und er­zäh­le!«

Der Fähr­mann ge­horch­te die­ser Auf­for­de­rung. Er hat­te je­den­falls mehr Angst als ich. Aber ehe er sei­nen Be­richt be­gin­nen konn­te, wand­te ich mich in sehr höf­li­chem Ton an den Kadi Ba­scha:

»Willst Du viel­leicht die Gna­de ha­ben, Dich ein­mal zu er­he­ben?«

Er stand ah­nungs­los von sei­nem Stuhl auf. Ich schob ihn zur Sei­te und setz­te mich nie­der.

»Ich dan­ke Dir,« sag­te ich. »Es ziemt dem Nied­ri­gen, dem Ho­hen Ehr­er­bie­tung zu er­wei­sen. Du hast ganz recht ge­tan.«

Jam­mer­scha­de, dass es un­mög­lich ist, sein Ge­sicht zu be­schrei­ben. Der Kopf ge­riet in ein ge­fähr­li­ches Pen­deln. Er woll­te re­den, brach­te aber vor Ent­set­zen kein Wort her­vor. Da­rum streck­te er, um we­nigs­tens durch die Pan­to­mi­me sei­ne Ent­rüs­tung aus­zu­drücken, die dür­ren Arme aus und schlug die Hän­de über dem wa­ckeln­den Kopf zu­sam­men.

Kein Mensch sag­te ein Wort. Kein Kha­waß rühr­te sich. Man war­te­te auf den Zor­nes­aus­bruch des Ge­bie­ters. Die­ser fand glück­li­cher­wei­se die Spra­che wie­der. Er brach in eine Rei­he un­be­schreib­li­cher In­ter­jek­tio­nen aus und schrie mich dann an:

»Was fällt Dir ein! Wie kannst Du eine sol­che Un­ver­schämt­heit be­ge­hen und –– ––«

»Had­schi Ha­lef Omar!« un­ter­brach ich ihn laut. »Nimm Dei­ne Peit­sche. Den­je­ni­gen, wel­cher noch ein ein­zi­ges un­höf­li­ches Wort zu mir sagt, be­schenkst Du mit Hie­ben, bis ihm die Haut zer­platzt; mag er sein, wer er will!«

Der klei­ne Had­schi hat­te so­fort die Peit­sche in der Hand.

»Emir, ich ge­hor­che,« sag­te er ent­schlos­sen. »Gib mir nur einen Wink.«

Es fehl­te lei­der die Be­leuch­tung, sonst hät­te man er­staun­te Ge­sich­ter se­hen kön­nen. Der Kadi Ba­scha wuss­te of­fen­bar gar nicht, wie er sich ver­hal­ten soll­te. Da flüs­ter­te ihm der Mü­ba­rek ei­ni­ge Wor­te zu, wor­auf er den Kha­was­sen be­fahl:

»Nehmt ihn ge­fan­gen! Schafft ihn in den Kel­ler!«

Er deu­te­te auf mich.

Die Po­li­zis­ten tra­ten her­bei, mit blan­ken Sä­beln in den Hän­den.

»Zu­rück!« rief ich ih­nen zu. »Wer mich an­rührt, den schie­ße ich nie­der!«

Ich hielt ih­nen die bei­den Re­vol­ver ent­ge­gen, und im nächs­ten Au­gen­blick sah ich kei­nen ein­zi­gen Kha­waß mehr. Sie hat­ten sich in das Pub­li­kum ver­lo­ren.

»Was er­regt dei­nen Zorn?« frag­te ich den Ko­dscha. »Wa­rum stehst du? Wa­rum setzt du dich nicht? Lass den Mü­ba­rek auf­ste­hen und setz dich auf sei­nen Platz.«

Jetzt ging ein Ge­mur­mel durch die Men­ge. Dass ich den Ko­dscha be­lei­dig­te, hat­te ih­nen noch im Be­reich der Mög­lich­keit ge­le­gen; aber dass ich nun auch den Hei­li­gen an­griff, das war denn doch zu viel ge­wagt. Man be­gann zu mur­ren.

Das gab dem Ko­dscha eine be­deu­ten­de Ener­gie. Er rief mir zor­nig zu:

»Mensch, sei du, wer du willst, aber für eine sol­che Frech­heit wer­de ich dich auf das Al­ler­strengs­te...