KAPITEL 2
DAS ZEITALTER DER GLOBALISIERUNG
Die bereits seit 1896 bestehende Gummi- und Reifenfabrik Semperit in Traiskirchen (Niederösterreich) ging aus dem Zweiten Weltkrieg in ihrer physischen Substanz weitgehend unbeschadet hervor. Allerdings demontierte die Rote Armee 1945 den Maschinenpark und verfrachtete diesen in die Sowjetunion. Ende der 1940er-Jahre wurden mithilfe des Marshall-Plans neue Maschinen angeschafft und ab dann ging es steil bergauf. Die im Eigentum der staatlichen Bank Creditanstalt befindliche Gesellschaft mauserte sich bis in die 1970er-Jahre zum zweitgrößten Industrieunternehmen Österreichs mit 15.000 Beschäftigten an mehreren Standorten. Semperit war nicht nur in Österreich der Inbegriff für Autoreifen, das Gummiprodukt wurde bis nach Japan exportiert.
Ab der Ölkrise 1973 jedoch begannen die Schwierigkeiten bei Semperit. In den 1980er-Jahren folgten Sparmaßnahmen, Redimensionierungen, Aufsplittungen und eine Übernahme zum Spottpreis durch den deutschen Konkurrenten Continental. Obwohl die wirtschaftlichen Zahlen in den 1990er-Jahren durchaus positiv waren, wurden Produktionssparten nach Tschechien verlegt und die Entwicklungsabteilung wanderte ins Continental-Headquarter nach Hannover. Begleitet war der Prozess von einem permanenten Abbau der 3000 Mitarbeiter:innen fassenden Belegschaft in Traiskirchen und zahlreichen emotional geführten Arbeitskämpfen. Im Jahr 2002 wurde der letzte Reifen in Traiskirchen produziert. Danach stellte eine stark reduzierte Restbelegschaft noch Gummimischungen her. Im Zuge der Weltwirtschaftskrise wurde das Werk in Traiskirchen 2009 endgültig stillgelegt.
Die politischen Folgen des Semperit-Desasters sind in Österreich bis heute spürbar. Oder besser gesagt, wieder spürbar. Denn bei Semperit Traiskirchen arbeitete zwischen 1986 und 2007 ein gewisser Werner Babler, erst als Betriebsschlosser, später als Brandschutzbeauftragter. Sein 1973 geborener Sohn Andreas bekam die Demontage einer österreichischen Industrie-Ikone seit Kindestagen hautnah mit. Aber Babler junior erlebte auch den Niedergang eines Betriebs, in dem die Gewerkschaften gute Arbeitsbedingungen erkämpfen konnten.Schwimmbäder, Erholungsheime, Freizeiteinrichtungen und gute Lohnabschlüsse für die Arbeiterschaft habe es gegeben. Wie durch ein Brennglas verfolgte er in Traiskirchen den gesamten Niedergang des interventionistischen Zeitalters von Anfang an mit.Im Jahr 2009 reichte Andreas Babler an der Donauuniversität Krems eine Masterarbeit mit dem Titel: „Medien, Strategien und Kommunikation in Arbeitskämpfen am Beispiel der Semperit Traiskirchen“ ein. Die Arbeit ist eine akademische Nachbetrachtung jener Arbeitskämpfe, während derer Bablers politische Sozialisation in Jugendtagen erfolgte. Der Sohn des Semperit-Arbeiters Werner Babler wurde 2014 Bürgermeister der Stadt Traiskirchen. 2023 wurde er zum Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei Österreichs.
Aus Bablers Masterarbeit geht hervor, dass die Schließung von Semperit Traiskirchen mitnichten wirtschaftlich zwingend war. Während der anziehenden Konjunktur Ende der 1990er-Jahre stellte Continental gegen seine eigenen Pläne wieder viele Beschäftigte in Traiskirchen ein, um die hohe Nachfrage bedienen zu können. Immer wieder kam es zu beträchtlichen Gewinnausschüttungen an die Konzernmutter. Anlässlich der Schließung 2009 stellte Semperit-Betrie