: Karl May
: Durchs wilde Kurdistan Reiseerzählungen
: Null Papier Verlag
: 9783954187164
: Karl May bei Null Papier
: 3
: CHF 2.20
:
: Spannung
: German
: 631
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Überarbeitete Ausgabe in Neuer Deutscher Rechtschreibung Inmitten der verpönten 'Teufelsanbeter' werden Kara Ben Nemsi und seine Gefährten überraschend herzlich empfangen. Sie helfen bei der Befreiung von Amad el Ghandur, dem Sohn ihres Gastfreunds Scheik Mohammed Emin aus dem ersten Teil, der in einer Festung in Amadijah gefangen gehalten wird. Hier trifft Kara Ben Nemsi auch auf Marah Durimeh - und auf einen rätselhaften Höhlengeist. Null Papier Verlag

Karl Friedrich May (25.02.1842-30.03.1912) war ein weltweit erfolgreicher, deutscher Autor von Abenteuergeschichten und historischen Erzählungen. Er war sehr produktiv, sein Werk umfasst Hunderte von Fortsetzungsromanen, Novellen und Geschichten. Er ist einer der am häufigsten übersetzten deutschen Schriftsteller. Die weltweite Auflage seiner Werke wird auf 200 Millionen geschätzt, davon 100 Millionen in Deutschland (Stand 2015). Bekannt wurde er vor allem durch seine Reiseerzählungen, die vorwiegend im Orient, in den Vereinigten Staaten und in Mexiko Ende des 19. Jahrhunderts spielen. Besondere Berühmtheit erlangten die Geschichten um den Indianerhäuptling Winnetou. Viele seiner Werke wurden verfilmt.

Der Op­fer­tod des hei­li­gen
          


Als wir auf der Höhe vor dem Dorf an­ka­men und das Tal des Hei­li­gen über­bli­cken konn­ten, be­merk­ten wir ganz in der Nähe des Hau­ses, wel­ches dem Bey ge­hör­te, einen un­ge­heu­ren Hau­fen von Reis­holz, wel­cher von ei­ner An­zahl von Dsche­si­di im­mer noch ver­grö­ßert wur­de. Pir Ka­mek stand da­bei und warf von Zeit zu Zeit ein Stück Erd­harz hin­ein.

»Das ist sein Kur­ban-ka­la­ba­lik«,1 mein­te Ali Bey.

»Was wird er op­fern?«

»Ich weiß es nicht.«

»Vi­el­leicht ein Tier?«

»Nur bei den Put­pe­rest­lern2 wer­den Tie­re ver­brannt.«

»Dann viel­leicht Früch­te?«

»Die Dsche­si­di ver­bren­nen we­der Tie­re noch Früch­te. Der Pir hat mir nicht ge­sagt, was er ver­bren­nen wird, aber er ist ein großer Hei­li­ger, und was er tut, wird kei­ne Sün­de sein.«

Noch im­mer er­tön­ten von der ge­gen­über­lie­gen­den Höhe die Sal­ven der an­kom­men­den Pil­ger, und noch im­mer wur­de den­sel­ben im Tal geant­wor­tet; und doch be­merk­te ich, als wir un­ten an­ka­men, dass die­ses Tal kaum noch mehr Men­schen fas­sen konn­te. Wir über­ga­ben un­se­re Tie­re und gin­gen zum Grab­mal. An dem Weg, der zu dem­sel­ben führ­te, lag ein Spring­brun­nen, der von Plat­ten ein­ge­fasst war. Auf ei­ner da­von saß Mir Scheik Khan und sprach mit ei­ner An­zahl von Pil­gern, die in ehr­er­bie­ti­ger Hal­tung und Ent­fer­nung vor ihm stan­den.

»Die­ser Brun­nen ist hei­lig, und nur der Mir, ich und die Pries­ter dür­fen auf die­sen Stei­nen sit­zen. Zür­ne also nicht, wenn Du ste­hen musst!« sag­te Ali zu mir.

»Eure Ge­bräu­che wer­de ich ach­ten.«

Als wir uns nä­her­ten, gab der Khan den Um­ste­hen­den ein Zei­chen, auf wel­ches sie Platz mach­ten, so­dass wir zu ihm kom­men konn­ten. Er er­hob sich, kam uns ei­ni­ge Schrit­te ent­ge­gen und reich­te uns die Hän­de.

»Will­kom­men bei Eu­rer Rück­kehr! Nehmt Platz zu mei­ner Rech­ten und Lin­ken!«

Er deu­te­te dem Bey zur Lin­ken, so­dass mir die rech­te Sei­te üb­rig blieb. Ich setz­te mich auf die ge­hei­lig­ten Stei­ne, ohne dass ich bei ei­nem der An­we­sen­den den ge­rings­ten Ver­druss dar­über be­merk­te. Wie sehr stach ein sol­ches Ver­hal­ten ge­gen das­je­ni­ge ab, wel­ches man bei den Mus­li­men zu be­ob­ach­ten hat.

»Hast Du mit dem Häupt­ling ge­spro­chen?« frag­te der Khan.

»Ja. Es ist al­les in der bes­ten Ord­nung. Hast Du den Pil­gern be­reits eine Mit­tei­lung ge­macht?«

»Nein.«

»So wird es Zeit sein, dass die Leu­te sich ver­sam­meln. Gib den Be­fehl dazu!«

»Ich bin der Re­gent des Glau­bens, und al­les an­de­re ist Dei­ne Sa­che. Ich wer­de Dir den Ruhm, die Gläu­bi­gen be­schützt und die Fein­de be­siegt zu ha­ben, nie­mals ver­kür­zen.«

Auch dies war eine Be­schei­den­heit, wel­che bei den mus­li­mi­schen Imams nie­mals zu fin­den ist. Ali Bey er­hob sich und schritt da­von. Wäh­rend ich mich mit dem Khan un­ter­hielt, be­merk­te ich eine Be­we­gung un­ter den Pil­gern, die mit je­der Mi­nu­te grö­ßer wur­de. Die Frau­en blie­ben an ih­ren Plät­zen ste­hen, die Kin­der eben­so; die Män­ner aber stell­ten sich am Bach ent­lang auf, und die An­füh­rer der ein­zel­nen Stäm­me, Zwei­ge und Ort­schaf­ten bil­de­ten einen Kreis um Ali Bey, der ih­nen die Ab­sich­ten des Mu­tessa­rif von Mos­sul be­kannt mach­te. Da­bei herrsch­te eine Ruhe, eine Ord­nung, wie bei der Pa­ra­de ei­ner eu­ro­päi­schen Trup­pe, ganz ver­schie­den von dem lär­men­den Durchein­an­der, wel­ches man sonst bei ori­en­ta­li­schen Krie­gern zu se­hen und zu hö­ren ge­wohnt ist. Nach ei­ni­ger Zeit, in der die An­füh­rer den Ih­ri­gen die Mit­tei­lung und die Be­feh­le des Bey über­bracht hat­ten, ging die Ver­samm­lung ohne Un­ord­nung wie­der aus­ein­an­der, und je­der be­gab sich an den Platz, den er zu­vor ein­ge­nom­men hat­te.

Ali Bey kam zu uns zu­rück.

»Was hast Du be­foh­len?« frag­te der Khan.

Der Ge­frag­te streck­te den Arm aus und deu­te­te auf einen Trupp von viel­leicht zwan­zig Män­nern, die den Pfad em­por­stie­gen, auf dem wir vor­hin her­ab­ge­kom­men wa­ren.

»Sie­he, das sind Krie­ger aus Aïram, Had­schi Dsho und Schu­ra Khan, die die­se Ge­gend sehr gut ken­nen. Sie ge­hen den Tür­ken ent­ge­gen und wer­den uns von de­ren Kom­men recht­zei­tig be­nach­rich­ti­gen. Auch ge­gen Baa­dri hin habe ich Wa­chen ste­hen, so­dass es ganz un­mög­lich ist, uns zu über­ra­schen. Bis es Nacht wird, ist noch drei Stun­den Zeit, und das ge­nügt, um al­les Über­flüs­si­ge nach dem Tal Idiz zu brin­gen. Die Män­ner wer­den auf­bre­chen, und Se­lek wird ih­nen den Weg zei­gen.«

»Wer­den sie beim Be­ginn der hei­li­gen Hand­lun­gen zu­rück­ge­kehrt sein?«

»Ja; das ist si­cher.«

»So mö­gen sie ge­hen!«

Nach ei­ni­ger Zeit schritt ein sehr, sehr lan­ger Zug von Män­nern, die Tie­re mit sich führ­ten oder ver­schie­de­ne Hab­se­lig­kei­ten tru­gen, an uns vor­über, wo sie, im­mer ei­ner hin­ter dem an­de­ren, hin­ter dem Grab­mal ver­schwan­den. Dann ka­men sie über dem­sel­ben auf ei­nem Fel­sen­pfad wie­der zum Vor­schein, und man konn­te von un­se­rem Sitz aus ih­ren Weg ver­fol­gen, bis der­sel­be oben in den ho­hen, dich­ten Wald ver­lief.

Jetzt muss­te ich mit Ali Bey ge­hen, um das Mahl ein­zu­neh­men. Nach dem­sel­ben trat der Ba­schi-Bo­zuk zu mir.

»Herr, ich muss Dir et­was sa­gen!«

»Was?«

»Uns droht eine große Ge­fahr!«

»Ah! Wel­che?«

»Ich weiß es nicht; aber die­se Teu­fels­män­ner ha­ben mich seit ei­ner hal­b­en Stun­de mit Au­gen an­ge­se­hen, die ganz fürch­ter­lich sind. Es sieht ge­ra­de so aus, als ob sie mich tö­ten wol­len!«

Da der Bu­luk Emi­ni sei­ne Uni­form trug, so konn­te ich mir das Ver­hal­ten der von den Tür­ken be­droh­ten Dsche­si­di sehr leicht er­klä­ren; doch war ich voll­stän­dig über­zeugt, dass ihm nichts ge­sche­hen wer­de.

»Das ist schlimm!« mein­te ich. »Wenn sie Dich tö­ten, wer wird dann den Schwanz Dei­nes Esels be­die­nen?«

»Herr, sie wer­den den Esel auch mit er­ste­chen! Hast Du nicht ge­se­hen, dass sie die meis­ten Büf­fel und Scha­fe, die vor­han­den sind, be­reits ge­tö­tet ha­ben?«

»Dein Esel ist si­cher, und Du bist es auch. Ihr ge­hört zu­sam­men, und man wird Euch nicht aus­ein­an­der­rei­ßen.«

»Ver­sprichst Du mir dies?«

»Ich ver­spre­che es Dir!«

»Aber ich hat­te Angst, als du vor­hin ab­we­send warst. Gehst du wie­der fort von hier?«

»Ich wer­de blei­ben; aber ich be­feh­le dir, stets hier im Hau­se zu sein und dich nicht un­ter die Dsche­si­di zu mi­schen, sonst ist es mir un­mög­lich, dich zu be­schüt­zen!«

Er ging, halb und halb ge­trös­tet, von dan­nen, der Held, den der Mu­tessa­rif mir zu mei­nem Schut­ze mit­ge­ge­ben hat­te. Aber es kam auch noch von ei­ner an­de­ren Sei­te eine War­nung: Ha­lef such­te mich auf.

»Sih­di, weißt du, dass es Krieg ge­ben wird?«

»Krieg? Zwi­schen wem?«

»Zwi­schen den Os­m­an­ly und den Teu­fels­leu­ten.«

»Wer sag­te es?«

»Nie­mand.«

»Nie­mand? Du hast doch wohl ge­hört, was wir heu­te früh in Baa­dri be­reits da­von ge­spro­chen ha­ben?«

»Nichts habe ich ge­hört, denn...