Der Opfertod des heiligen
Als wir auf der Höhe vor dem Dorf ankamen und das Tal des Heiligen überblicken konnten, bemerkten wir ganz in der Nähe des Hauses, welches dem Bey gehörte, einen ungeheuren Haufen von Reisholz, welcher von einer Anzahl von Dschesidi immer noch vergrößert wurde. Pir Kamek stand dabei und warf von Zeit zu Zeit ein Stück Erdharz hinein.
»Das ist sein Kurban-kalabalik«,1 meinte Ali Bey.
»Was wird er opfern?«
»Ich weiß es nicht.«
»Vielleicht ein Tier?«
»Nur bei den Putperestlern2 werden Tiere verbrannt.«
»Dann vielleicht Früchte?«
»Die Dschesidi verbrennen weder Tiere noch Früchte. Der Pir hat mir nicht gesagt, was er verbrennen wird, aber er ist ein großer Heiliger, und was er tut, wird keine Sünde sein.«
Noch immer ertönten von der gegenüberliegenden Höhe die Salven der ankommenden Pilger, und noch immer wurde denselben im Tal geantwortet; und doch bemerkte ich, als wir unten ankamen, dass dieses Tal kaum noch mehr Menschen fassen konnte. Wir übergaben unsere Tiere und gingen zum Grabmal. An dem Weg, der zu demselben führte, lag ein Springbrunnen, der von Platten eingefasst war. Auf einer davon saß Mir Scheik Khan und sprach mit einer Anzahl von Pilgern, die in ehrerbietiger Haltung und Entfernung vor ihm standen.
»Dieser Brunnen ist heilig, und nur der Mir, ich und die Priester dürfen auf diesen Steinen sitzen. Zürne also nicht, wenn Du stehen musst!« sagte Ali zu mir.
»Eure Gebräuche werde ich achten.«
Als wir uns näherten, gab der Khan den Umstehenden ein Zeichen, auf welches sie Platz machten, sodass wir zu ihm kommen konnten. Er erhob sich, kam uns einige Schritte entgegen und reichte uns die Hände.
»Willkommen bei Eurer Rückkehr! Nehmt Platz zu meiner Rechten und Linken!«
Er deutete dem Bey zur Linken, sodass mir die rechte Seite übrig blieb. Ich setzte mich auf die geheiligten Steine, ohne dass ich bei einem der Anwesenden den geringsten Verdruss darüber bemerkte. Wie sehr stach ein solches Verhalten gegen dasjenige ab, welches man bei den Muslimen zu beobachten hat.
»Hast Du mit dem Häuptling gesprochen?« fragte der Khan.
»Ja. Es ist alles in der besten Ordnung. Hast Du den Pilgern bereits eine Mitteilung gemacht?«
»Nein.«
»So wird es Zeit sein, dass die Leute sich versammeln. Gib den Befehl dazu!«
»Ich bin der Regent des Glaubens, und alles andere ist Deine Sache. Ich werde Dir den Ruhm, die Gläubigen beschützt und die Feinde besiegt zu haben, niemals verkürzen.«
Auch dies war eine Bescheidenheit, welche bei den muslimischen Imams niemals zu finden ist. Ali Bey erhob sich und schritt davon. Während ich mich mit dem Khan unterhielt, bemerkte ich eine Bewegung unter den Pilgern, die mit jeder Minute größer wurde. Die Frauen blieben an ihren Plätzen stehen, die Kinder ebenso; die Männer aber stellten sich am Bach entlang auf, und die Anführer der einzelnen Stämme, Zweige und Ortschaften bildeten einen Kreis um Ali Bey, der ihnen die Absichten des Mutessarif von Mossul bekannt machte. Dabei herrschte eine Ruhe, eine Ordnung, wie bei der Parade einer europäischen Truppe, ganz verschieden von dem lärmenden Durcheinander, welches man sonst bei orientalischen Kriegern zu sehen und zu hören gewohnt ist. Nach einiger Zeit, in der die Anführer den Ihrigen die Mitteilung und die Befehle des Bey überbracht hatten, ging die Versammlung ohne Unordnung wieder auseinander, und jeder begab sich an den Platz, den er zuvor eingenommen hatte.
Ali Bey kam zu uns zurück.
»Was hast Du befohlen?« fragte der Khan.
Der Gefragte streckte den Arm aus und deutete auf einen Trupp von vielleicht zwanzig Männern, die den Pfad emporstiegen, auf dem wir vorhin herabgekommen waren.
»Siehe, das sind Krieger aus Aïram, Hadschi Dsho und Schura Khan, die diese Gegend sehr gut kennen. Sie gehen den Türken entgegen und werden uns von deren Kommen rechtzeitig benachrichtigen. Auch gegen Baadri hin habe ich Wachen stehen, sodass es ganz unmöglich ist, uns zu überraschen. Bis es Nacht wird, ist noch drei Stunden Zeit, und das genügt, um alles Überflüssige nach dem Tal Idiz zu bringen. Die Männer werden aufbrechen, und Selek wird ihnen den Weg zeigen.«
»Werden sie beim Beginn der heiligen Handlungen zurückgekehrt sein?«
»Ja; das ist sicher.«
»So mögen sie gehen!«
Nach einiger Zeit schritt ein sehr, sehr langer Zug von Männern, die Tiere mit sich führten oder verschiedene Habseligkeiten trugen, an uns vorüber, wo sie, immer einer hinter dem anderen, hinter dem Grabmal verschwanden. Dann kamen sie über demselben auf einem Felsenpfad wieder zum Vorschein, und man konnte von unserem Sitz aus ihren Weg verfolgen, bis derselbe oben in den hohen, dichten Wald verlief.
Jetzt musste ich mit Ali Bey gehen, um das Mahl einzunehmen. Nach demselben trat der Baschi-Bozuk zu mir.
»Herr, ich muss Dir etwas sagen!«
»Was?«
»Uns droht eine große Gefahr!«
»Ah! Welche?«
»Ich weiß es nicht; aber diese Teufelsmänner haben mich seit einer halben Stunde mit Augen angesehen, die ganz fürchterlich sind. Es sieht gerade so aus, als ob sie mich töten wollen!«
Da der Buluk Emini seine Uniform trug, so konnte ich mir das Verhalten der von den Türken bedrohten Dschesidi sehr leicht erklären; doch war ich vollständig überzeugt, dass ihm nichts geschehen werde.
»Das ist schlimm!« meinte ich. »Wenn sie Dich töten, wer wird dann den Schwanz Deines Esels bedienen?«
»Herr, sie werden den Esel auch mit erstechen! Hast Du nicht gesehen, dass sie die meisten Büffel und Schafe, die vorhanden sind, bereits getötet haben?«
»Dein Esel ist sicher, und Du bist es auch. Ihr gehört zusammen, und man wird Euch nicht auseinanderreißen.«
»Versprichst Du mir dies?«
»Ich verspreche es Dir!«
»Aber ich hatte Angst, als du vorhin abwesend warst. Gehst du wieder fort von hier?«
»Ich werde bleiben; aber ich befehle dir, stets hier im Hause zu sein und dich nicht unter die Dschesidi zu mischen, sonst ist es mir unmöglich, dich zu beschützen!«
Er ging, halb und halb getröstet, von dannen, der Held, den der Mutessarif mir zu meinem Schutze mitgegeben hatte. Aber es kam auch noch von einer anderen Seite eine Warnung: Halef suchte mich auf.
»Sihdi, weißt du, dass es Krieg geben wird?«
»Krieg? Zwischen wem?«
»Zwischen den Osmanly und den Teufelsleuten.«
»Wer sagte es?«
»Niemand.«
»Niemand? Du hast doch wohl gehört, was wir heute früh in Baadri bereits davon gesprochen haben?«
»Nichts habe ich gehört, denn...