: Jana Volkmann
: Der beste Tag seit langem
: Residenz Verlag
: 9783701747269
: 1
: CHF 17,00
:
: Erzählende Literatur
: German
: 256
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Jana Volkmann erzählt mit feinem Humor von Tieren, Menschen und gleichberechtigten Formen des Zusammenlebens, die ebenso selbstverständlich wie revolutionär sind. Eine Sommernacht in der Wiener Innenstadt, zwei Frauen sind auf dem Heimweg, als ihnen in einer kleinen Gasse ein herrenloses Pferd begegnet. Das leicht verwahrloste Tier trottet ihnen nach bis zu ihrem Häuschen in der Vorstadt und bezieht im Garten Quartier. Fortan kümmern die beiden sich um den neuen Mitbewohner. Was zunächst wie eine märchenhafte Fantasie anmutet, steigert sich zu einem außergewöhnlichen Roman über das Zusammenleben von Tier und Mensch, über Tierrechte und Ausbeutung, über Selbstbestimmung und ihre Grenzen. Mit Eleganz und Witz erzählt Jana Volkmann eine hochaktuelle Geschichte, in der Hühnerfabriken gestürmt werden, Schweine über die Simmeringer Hauptstraße galoppieren - und jede*r für sich entscheiden muss, wie wir in Zukunft leben wollen ...

Jana Volkmann, geboren 1983 in Kassel, hat in Berlin Europäische Literaturen studiert und erste Prosatexte veröffentlicht, seit 2012 lebt und schreibt sie in Wien. Zahlreiche Veröffentlichungen, zuletzt: 'Auwald' (Roman, Verbrecher Verlag 2020) sowie 'Investitions-ruinen' (Gedichte, Limbus 2021). Für 'Auwald' erhielt sie den Förderpreis des Bremer Literaturpreises 2021 sowie den Reinhard-Priessnitz-Preis 2022. Als Journalistin schreibt sie u. a. für 'Der Freitag', 'Tagebuch' und beschäftigt sich schon länger mit der Frage, ob Tiere arbeiten (müssen). Zuletzt im Residenz Verlag erschienen: 'Der beste Tag seit langem' (2024).

Kapitel 1


Cordelia sah das Pferd zuerst. Es stand an die Außenwand eines Gasthauses gelehnt, als hätte es gesoffen, und schaute leer in die von einer Unzahl Sterne perforierte Nacht. Sein linker Vorderhuf war in Schonstellung gebracht. Ein weißes Spitzenhäubchen, das es über seinen Ohren trug, wurde von einer Laterne so stark angestrahlt, dass sich eine flirrende Aura darum bildete, während das schwarze, dumpfe Fell alles übrige Licht absorbierte, nur an manchen Stellen beinahe bläulich aufschimmerte. Einem so derartig räudig ausschauenden Tier so etwas aufzusetzen, so ein dekoratives Deckchen, kam mir boshaft vor wie ein grausamer Kinderstreich. Es trug keinerlei Zaumzeug, Geschirr oder Sattel; so wirkte das Pferd wie jemand, der einen Hut trägt und ansonsten nackt ist, wobei der Hut nicht von der Nacktheit ablenkt, sondern sie ganz im Gegenteil grotesk verstärkt. Ich blieb auf der gegenüberliegenden Straßenseite stehen. Cordelia trat vorsichtig ins Sichtfeld des Pferdes, die linke Hand zur Beschwichtigung erhoben. Der Schweif des Rappen schlug abwechselnd gegen die Wand und gegen die eigene Flanke, ansonsten war das Pferd reglos. Es machte nicht den Eindruck, als könne es noch gefährlich werden.

Die Fensterläden des Gasthauses waren verschlossen. Kein Licht leuchtete dahinter, auch in den anderen Häusern war es dunkel, die ganze Straße entlang. Einzig die Gaslaternen schimmerten sanft, und damit es nicht zu sehr wie vor hundert Jahren aussah, gab es da und dort ein beleuchtetes Schaufenster.Die letzten Tage, warb ein Bekleidungsgeschäft in handgeschriebenen Lettern. Ich wagte mich näher heran, weil meine Nichte Cordelia sich näher wagte und weil auf ihr Urteil, anders als auf meines, Verlass war. Das Pferd sah mich erst, als auch ich direkt in sein Blickfeld trat. Es erschrak nicht, also erschrak ich ebenfalls nicht. Es stieß mich mit dem Kopf an, der eben noch trübe heruntergehangen hatte, und ich begann, es zu kraulen. Meine Hände waren beherzt und angstlos. Als ich sicher war, dass es gegen Berührungen nichts einzuwenden hatte, nahm ich ihm die Haube ab, denn Tiere, die sowas tragen, haben schon genug Erniedrigungen über sich ergehen lassen. Ich ließ sie zu Boden fallen und schob sie mit der Fußspitze ein Stück beiseite, bis dass ein Gully sie sich einverleib