Der Geist des großen Weisen aus Indien
DasSandokai ist einer unserer wichtigsten Lehrtexte. Sein sprachlicher Ausdruck ist so elegant und geschliffen, dass es schwierig sein mag, beim Lesen seine tiefe Bedeutung zu empfinden. Der Urheber dieses Gedichts, Sekito Kisen oder Sekito Musai Daishin, wie er nach seinem Tode genannt wurde, ist der Dharma-Enkel des Sechsten Patriarchen, Huineng (jap. Daikan Eno) und der direkte Nachfolger von Seigen Gyoshi, der als Siebter Patriarch bezeichnet wird. Wie ihr vielleicht wisst, hatte Eno viele Schüler, doch die bedeutendsten unter ihnen waren Seigen Gyoshi und Nangaku Ejo. Später setzte Meister Tozan Ryokai Seigens Traditionslinie als Soto-Schule des Zen fort, und Meister Rinzai Gigen setzte Nangakus Linie fort. Aus dem Erbe des Sechsten Patriarchen sind also die Soto- und die Rinzai-Schule hervorgegangen, die zu den dominierenden Strömungen des japanischen Zen wurden.
Verglichen mit Nangakus Weg ist der Weg von Seigen und Sekito sanfter. In Japan nennen wir ihn den Weg des älteren Bruders. Nangakus Weg ist eher wie der des zweiten oder dritten Sohnes, der oft ziemlich eigenwillig ist. Der ältere Bruder mag nicht so begabt und intelligent sein, doch dafür ist er sehr sanft. So verstehen wir den Unterschied zwischen Soto und Rinzai. Im Soto-Zen sagen wir:menmitsu no kafu – und meinen damit, dass wir die Dinge sehr behutsam und aufmerksam tun.
Seigens Weg besteht darin, alles in sich selbst zu finden. Dies bedeutet, den großen Geist zu finden, der alles umfasst, und diesem gemäß zu üben.
Wir bemühen uns im Zen, alles so wahrzunehmen, »wie es ist«. Doch selbst wenn wir uns dies vornehmen, nehmen wir nicht unbedingt alles so wahr, »wie es ist«. Wir sagen: »Hier ist mein Freund, dort drüben ist der Berg, und da oben am Himmel steht der Mond.« Doch euer Freund ist nicht nur euer Freund, der Berg ist nicht nur der Berg, und der Mond ist nicht nur der Mond. Wir denken vielleicht: »Ich bin hier, und der Berg ist dort drüben« – dies ist die dualistische Sicht der Dinge. Wir sagen, um nach San Francisco zu kommen, müssen wir den Tassajara-Berg überqueren. So sehen wir die Dinge gewöhnlich. Doch das ist nicht die buddhistische Sichtweise. Wenn wir uns diese zu eigen machen, finden wir den Berg oder den Mond oder unseren Freund oder San Francisco in uns selbst. Gleich hier. Das ist der große Geist, in dem alles existiert.
Schauen wir uns nun den Titel,Sandokai, einmal genauer an.San bedeutet wörtlich »drei«, doch in diesem Fall bedeutet es »Dinge«.Do bedeutet »Gleichheit«. Ein Ding mit einem anderen zu identifizieren istdo. Dieses Wort bedeutet auch »Einssein« oder »unser ganzes Sein« – was hier gleichbedeutend mit »großer Geist« ist. Es wird also zum Ausdruck gebracht, dass es ein umfassendes Sein gibt, ein Sein, das alles in sich einschließt, und dass die Vielfalt der Dinge in diesem einen umfassenden Sein enthalten ist. Obgleich wir von »vielen Dingen« sprechen, sind diese allesamt Teile des einen umfassenden Seins. Wenn wir »viele« sagen, so ist dieses Sein viele, und wenn wir »eins« sagen, ist es eins. »Viele« und »eins« sind nur verschiedene Beschreibungen des einen umfassenden Seins. Die Beziehung zwischen dem einen großen umfassenden Sein und seinen vielen Facetten zu verstehen istkai – »einander die Hände geben«, »Freundschaft empfinden«. Empfinden wir in dieser Weise, so haben wir das Gefühl, dass wir selbst und die andere Person eins sind. Ebenso sind auch dieses eine umfassende Sein und die vielen Dinge gute Freunde – oder sogar mehr als nur gute Freunde, w