: Jessica Wilker
: Das Einmaleins der Beziehungen Vom Gleichgewicht und fairen Lösungen
: Arkana
: 9783641370268
: 1
: CHF 8.80
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: Lebenshilfe, Alltag
: German
: 144
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Jessica Wilker erzählt Geschichten von ganz normalen Menschen und zeigt exemplarisch, dass gelingende Beziehungen ein Gleichgewicht brauchen und keine einseitige Angelegenheit sein dürfen. Dafür braucht es unser Bemühen, beide Seiten zu respektieren und faire Lösungen zu finden. Dieser humorvolle Ratgeber gibt Anregung, wie wir zu mehr Selbstvertrauen und Selbstverantwortung finden und damit auch zu mehr Großzügigkeit und Toleranz in unseren Beziehungen.

Jessica Wilker studierte Psychologie an der Universität Bern und war viele Jahre in verschiedenen Bereichen psychologischer Beratung tätig. Die gebürtige Schweizerin lebt heute in England, wo sie an der Universität Bath ein Studium der Religionswissenschaften abgeschlossen und sich auf buddhistische Ethik spezialisiert hat. Sie ist selbst praktizierende Buddhistin.

AUF DER INSEL


Ruth war am Packen. Ein leerer Koffer lag auf dem rostbraunen Samtüberwurf des großen Doppelbettes. An der offenen Schranktür hing eine Auswahl von Sommerkleidern. Ruth fingerte unschlüssig an ihnen herum. Am liebsten hätte sie alle zusammen eingepackt, doch sie erinnerte sich an ihren Vorsatz, diesmal nicht wieder zu viel mitzunehmen. Sie würden ja doch nur für vier Tage verreisen.

Zögernd nahm sie den Baumwollrock mit dem orangeroten Blumenmuster vom Bügel und schlüpfte hinein. Er ließ sich immer noch zuknöpfen. Erfreut faltete sie ihn sorgfältig zusammen und legte ihn in den Koffer. Dann holte sie den Stapel frisch gebügelter T-Shirts und wählte daraus ein rotes und ein weißes. Es fiel ihr ein, dass diese Farben nicht zu ihren Shorts passten, und sie legte noch ein blaues dazu. Und dasjenige mit dem raffinierten Ausschnitt würde sie auch noch mitnehmen. Das stand ihr gut und sie wusste von den beiden letzten Jahren, dass sie es ab und zu brauchte, sich hübsch zu fühlen. Besonders neben Ines, die immer gut aussah.

Plötzlich hatte Ruth keine Lust mehr. Sie schob den Koffer zur Seite und setzte sich auf den Bettrand. Nachdenklich starrte sie vor sich hin.

Freute sie sich wirklich auf den Urlaub? Zwar war es toll, im Winter in die Sonne zu fahren, und das auch noch ohne die Kinder. Und die Insel gefiel ihr auch. Aber wenn sie an letztes Jahr dachte! Schaudernd verschränkte Ruth die Arme vor der Brust. Sie erinnerte sich an die dahinschleppenden Stunden in der winzigen Bucht, die nur mit dem Boot erreichbar war und an deren sandigem Ufer man höchstens knapp fünf Minuten hin- und herlaufen konnte. Den anderen hatte das nichts ausgemacht. Nico und Alex waren ganz in ihrem Element gewesen – sie tummelten sich von morgens bis abends auf dem Boot und fuhren Wasserski. Ines war glücklich, wenn sie sich nackt bräunen konnte, dösen und Kreuzworträtsel lösen. Ruth war die Einzige gewesen, die nicht auf ihre Kosten gekommen war. Den ganzen Tag am Strand zu liegen war nicht ihr Ding, das wusste sie. Sie wäre viel lieber in die Berge gefahren. Ruth sprang vom Bett auf. Diesmal wird es anders, ermahnte sie sich entschlossen. Diesmal mache ich, wasich will. Sie würde die Berge erkunden, durch Olivenplantagen wandern, an Orangenblüten schnuppern, die Füße in einem klaren Bach kühlen. Ohne es zu merken, hatte Ruth sich wieder hingesetzt.

Versonnen dachte sie an die Schönheiten der Insellandschaft. Sie erinnerte sich noch gut daran, wie sie diese für sich entdeckt hatte. Vor zwei Jahren war das gewesen. Das erste Mal, als Nico und sie sich den Luxus gegönnt hatten, mit alten Freunden ein paar Tage zu verreisen. Ruth schmunzelte. Nach zwei Tagen hatten die Männer genug gehabt vom zahmen Schnorcheln und wollten Action. Sie hatten den Frauen vorgeschlagen, Motorräder zu mieten, um die I