: Adwin de Kluyver
: Niemandsland Eine antarktische Entdeckungsreise
: mareverlag
: 9783866488458
: 1
: CHF 20.20
:
: Regional- und Ländergeschichte
: German
: 400
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Als Adwin de Kluyver auf die Geschichte des (leidenschaftlich) gescheiterten japanischen Antarktisfahrers Nobu Shirase stieß, erwachten seine Liebe zu den Antihelden der südpolaren Entdeckungshistorie wie auch sein Wunsch, selbst seinen Fuß auf den eisigen Kontinent zu setzen. In »Niemandsland« schildert er seine abenteuerliche Fahrt an Bord des Dreimasters Europa und schüttet zugleich in einer Zeitreise durch die Jahrhunderte ein Füllhorn von anrührenden, spannenden und oft komischen Antarktis-Erzählungen aus: Wir lauschen mit ihm den Mythen der Maori, treffen den mürrischen Biologen Johann Reinhold Forster, einen Begleiter James Cooks, Jennie Darlington, eine der ersten zwei Frauen auf dem südlichen Eis, und betrachten Antarktika aus völlig neuen Perspektiven, inklusive derjenigen eines Astronauten, der sie aus dem Weltraum fotografiert.

Adwin de Kluyver, 1968 geboren, ist Autor und Historiker. 2016 promovierte er über die Kulturgeschichte der Polreisen und des Heldentums. Außerdem kuratiert er Ausstellungen und organisiert Filmfestivals auf Vlieland. Für »Niemandsland« wurde er 2022 für den Jan-Wolkers-Preis nominiert. Adwin de Kluyver lebt und arbeitet in Leeuwarden.

REISENOTIZEN 1
BANZAI


Der Kapitän gibt eine Sturmwarnung aus. Alle Luken dicht und die Ventilatoren abschalten. Unter Deck ist das Schiff jetzt ein schwach beleuchteter segelnder Bunker. Die acht Meter hohen Wellen greifen, lecken und brechen über den Dreimaster. Immer wieder stürzt die Bark in ein Wellental, richtet sich auf und nimmt zuversichtlich den nächsten Anstieg in Angriff. Das Hauptdeck wird von einer wütenden Wassermasse überspült. Die Gangborde haben sich in einen wild wirbelnden Fluss verwandelt, der alles auf seinem Weg mit sich reißt. Nur auf den oberen Decks können wir noch stehen; ein Gurtgeschirr mit einem Haken verbindet mich mit dem Schiff. Der Horizont ist unauffindbar. Immer wieder schaue ich zu den Wasserwänden hinauf, die sich nähern und das Schiff gerade noch rechtzeitig anheben. Es ist Furcht einflößend und aufregend zugleich.

*

Am besten gestehe ich es gleich ein. Lange Zeit wollte ich gar nicht nach Antarktika. Zu weit weg, zu teuer, zu wenig Kultur. Von klein auf war ich vom hohen Norden fasziniert, nicht vom Süden. Ich stapfte an Steilküsten entlang und durch die Tundra, sauste mit Hundeschlitten durch ewig singende Wälder und pinkelte meinen Namen in den Schnee, während das Nordlicht über meinem Kopf tanzte. Nachdem ich Historiker geworden war, begann ich mich professionell in die Kulturgeschichte von Polreisen und Heldentum zu vertiefen. Was sagten all die Polhelden und Entdeckungsreisen eigentlich über die Zeit aus, in der sich diese Geschichten abspielten? Wie kamen diese spannenden Reiseberichte zustande, was machte jemanden zu einem Helden, und warum brauchten wir damals Polhelden? In derartige Fragen.

Durch den einen Pol kam ich mit dem anderen in Berührung. Mögen der Nordpol und der Südpol auch zwei Extreme sein, so sind der äußerste Norden und der tiefste Süden doch miteinander verbunden, und sei es nur, weil sich die Erde an beiden Orten um ihre eigene Achse dreht. Die scheinbar entlegensten Winkel der Welt sind eigentlich zwei Mittelpunkte. Schon die alten Griechen sahen diese Gegensätzlichkeitund diese Verbundenheit zwischen der Ober- und Unterseite der Erdkugel. Den Norden nannten siearktikos, nach dem Sternbild des Großen Bären; der Süden hießantarktikos, das dem »Land des Bären« Gegenüberliegende.

Die beiden Pole teilen eine Ideengeschichte der Spekulationen und Imaginationen. Die gefrorenen Enden der Welt erweisen sich bis heute als ein ideales unbeschriebenes Blatt, auf das Dichter und Denker, Wissenschaftler und Machthaber, Entdeckungsreisende und Glückssucher ihre Ideen, Ängste, Fantasien, Träume und Ideologien projizieren.

Aber es gibt auch viele Unterschiede: Das arktische Gebiet ist ein Ozean umgeben von Land, das antarktische Gebiet ist eine Landmasse umgeben von einem Ozean.

Im Norden wohnen rund um den 60. Breitengrad noch jede Menge Menschen. Dort liegen große Städte wie