Lorenzo hatte schon unerwartet Patienten verloren, es wäre normal gewesen, sich daran zu gewöhnen, doch er wusste, dass ihn die Schuldgefühle tagelang plagen würden. Der Mann war ohne richtige Diagnose und in febrilem Zustand von der Notaufnahme gekommen, und niemand hatte seine Situation ernst genommen, am allerwenigsten er. Er hatte sich darauf beschränkt, ihn geistesabwesend zu untersuchen, den beiden Assistenzärzten zu zeigen, wie man eine Lunge auskultierte, und einen Blick auf die Blutwerte geworfen, die alle praktisch unverändert waren, doch von einer Behandlungsstrategie im eigentlichen Sinn keine Spur. Ein Breitbandantibiotikum, ein bisschen perorales Kortison, das man niemandem verwehrte, eine zweite Runde Untersuchungen, und das war’s. Als schösse man wahllos in den Nachthimmel, ohne zu wissen, woher die Bomben abgeworfen wurden, oder viel eher noch, als spielte man mit dem Sensenmann Poker und liesse ihn den Wetteinsatz bestimmen. Kaum vierundzwanzig Stunden später war die Erkrankung mit ihrer ganzen Kraft explodiert: Zuerst die schreckliche metabolische Dekompensation, dann der Atemstillstand, das Koma, und er war tot. Es wäre nicht einfach gewesen, ihn zu retten, gewiss, aber dennoch. Ein paar zielführende Fragen bei der Aufnahme, ein bisschen mehr Geduld, und er würde vielleicht noch leben. Er war mit seiner Frau auf einem Boot über die Strasse von Sizilien gekommen, sie wohnten in einem Empfangszentrum in Tor Bella Monaca, wie er von der Sozialarbeiterin des Krankenhauses am Telefon erfahren hatte, die mit Aischa, der Witwe, zum Zentrum zurückgegangen war. Es wohnten auch andere nigerianische Familien dort und die Frauen würden sich um Aischa kümmern, hatte sie ihm versichert und dann gefragt, ob eine Autopsie wirklich nötig sei, denn der Islam verbiete sie und di