Augustenborg September 1847
Klagendes Wiehern drang hinauf zu den Fenstern der Beletage, ein Leiterwagen rumpelte und Pferdehufe setzten disharmonisch aufs Pflaster. Graf Holck, eben noch im Gespräch mit der Baronin vonPetersdorff, blickte hinaus, sah das aufgerissene, weiß leuchtende Auge des Pferdes, den Schaum um die Trense und den erhobenen Stock eines Knechtes. Lächelnd trat er so nahe an die Scheibe, dass sie beschlug. Seine Hand fuhr durchs Haar.
Da sauste der Knüppel nieder und zeitgleich, als wären sie ein Wesen, durchzuckte es Holck, während die Kreatur sich aufbäumte. Seine Hände verkrampften sich zu Fäusten. Als weitere Schläge folgten, stockte ihm der Atem, seine Augen glänzten, eine Röte überzog das von Natur aus wachsfarbene Antlitz. Er schien sich vom Anblick des Pferdes, eingespannt und leidend, nicht trennen zu können.
»Graf, wie ist Ihnen?« Die Baronin schaute auf sein erhitztes Gesicht, nur langsam lösten sich seine Finger, das Atmen verflachte.
»Es ist nichts, liebste Freundin, vielleicht der Kreislauf.«
»Dass sie die Tiere immer so schinden müssen.« Beiläufig sah sie auf die Straße hinunter.
»Tiere, Menschen, Leben heißt Leiden. Da zeigt sich die wahre Macht.« Ruckartig fuhr er herum, sah suchend im Saal umher und räusperte sich. »Lässt der Herzog seine Gäste stets warten? Mir ist der Hals ganz trocken.«
»Seine Gnaden werden sich gewiss noch mit Geschäften befassen oder sind in die Landespolitik verstrickt.« Fröstelnd rieb sich die Baronin die freien, etwas zu speckigen Unterarme, die eine scharfe Hautfalte derart von ihren kleinen Händen trennte, dass man sie für Puppenglieder halten konnte. Anlassgemäß hatte sie auf ein wärmeres Kleid aus feiner Wolle zugunsten eines weitausgeschnittenen aus Seide verzichtet. Doch die späte Sonne gelangte kaum durch die dicken Mauern von Schloss Augustenborg. »Es ist nun mal eine anstrengende Welt, in der wir leben. Selbst hier auf Alsen, so abgelegen die Insel auch sein mag, wird sich der Herzog den Bedrängnissen der Zeit nicht entziehen können. Aber Geschäft und Politik, das sind nun wirklich ermüdende Themen. Mein Freund, immerhin sind wir geladene Gäste und keine Bittsteller. Geduld, der Zuneigung unseres Gastgebers dürfen wir gewiss sein.«
Graf Holck verzog das Gesicht. »Morgen ein Dîner und ein Vorleseabend. Mir ist nach einer schneidigen Jagd. Hirsch, Wildsau und Fasan, das wäre was Rechtes. Oder ein Faustkampf. Es dürften sich doch Knechte und Diener genug finden, die bereit wären, sich für etwas Geld blutig zu schlagen. Aber Seine Gnaden schont lieber, wer ihm untertan ist. Vorleseabend! Mir schwant Übles.«
»Es soll ja dieser Andersen sein. Er tingelt nun schon seit Jahren durch die bessere Gesellschaft, von Sommerhaus zu Sommerhaus. Ich finde, er hat etwas von einem trällernden Waisenkind, das man herumreicht. Hoffentlich bleiben wir noch heute Abend von der Jahrmarktsgestalt verschont. Ich wüsste nicht, wie ich mich geben sollte.«
Holcks Blick ging gegen die Stuckdecke, eine schöne Arbeit, doch seine Langeweile blieb.