Kapitel 1
Moselkern, Deutschland, Juli 1940
Ahornblätter hüllten das Fenster des Baumhauses ein, als wollten sie mit ihren silberfarben glänzenden Fasern ein schützendes Kettenhemd um das Mädchen und den Jungen bilden, die im Inneren des Baumhauses spielten.
Dietmar Roth preschte mit seinem hölzernen Spielzeugpferd in der Hand über die Bodenplanken und schlug mit seinem Ritter zwei gegnerische Schlachtrosse zu Boden, bevor er sich in Richtung des schützenden Wachturmes davonmachte. Mit seinen dreizehn Jahren war er bereits ein Experte in Sachen Ritter und Ritterrüstungen. Ein Metallring allein konnte keinen Schutz bieten, doch Hunderte von ihnen, eng miteinander zu einem Hemd verwoben, konnten den gegnerischen Pfeilen gut standhalten. Oder einem Schwert.
Neben dem Wachturm jaulte Brigitte wie eine Wildkatze auf. In ihrer Hand hielt sie eine kleine Spielzeugprinzessin. Es klang so, als würde die Prinzessin tatsächlich von kriegerischen Rittern entführt werden.
Mit ihren zehn Jahren war Brigitte eine Expertin für Prinzessinnen. Und Theater.
Brigitte spielte lieber nur mit einem einzigen Spielzeug anstatt mit einer ganzen Armee. Sie liebte die Prinzessin, die Dietmar ihr zu ihrem letzten Geburtstag geschenkt hatte. Er hatte sie selbst aus Lindenholz geschnitzt und anschließend bemalt. Dietmar gab seinen Spielzeugrittern immer wieder neue Namen, doch Brigitte tat das nicht. Der Name der Prinzessin blieb immer derselbe.
Prinzessin Adler.
Adler.
Brigitte stellte sich vor, dass ihre Prinzessin fliegen konnte.
Dietmars Ritter zog sein Blechschwert und begann, die schwarz maskierten feindlichen Ritterhorden zu bekämpfen, die in seiner Vorstellung immer weiter vorrückten. Auf dem Boden des Baumhauses hatte sich eine ganze Armee kriegerischer Ritter versammelt. Sie alle trugen unterschiedliche Symbole auf ihren Armbrüsten. Aber sie kämpften alle zusammen für den Orden der Ritterlichkeit.Ritterlichkeit.
Dietmar hatte jede einzelne Armbrust seiner Ritter selbst aus Zedernholz geschnitzt. Die Bogensehnen hatte er aus dem Haar von Fonzell, dem Pferd seiner Familie, gemacht. Zumindest war Fonzell das gewesen, bis Herr Darre ihn den Roths gestohlen hatte. Herr Darre war ein deutscher Beamter. Und außerdem der Nachbar von Dietmars Familie. Mit dem Diebstahl wollte Herr Darre Dietmars Vater dafür bestrafen, dass er seinen Sohn nicht zu den wöchentlichen Treffen desDeutschen Jungvolks schickte. Brigitte und ihr Vater waren die einzigen Nachbarn, denen die Roths noch vertrauten.
Eigentlich fühlte si