Nachtwache
Es ist gut, wenn es
still ist in dem Haus,
in dem du
Nachtwache hast.
Manchmal aber wird die
Stille unerträglich.
Jedes Geräusch wird zu
Lärm in deinem Kopf,
und die Schatten
erschrecken dich.
Deine Fantasie
verbündet sich mit den
dunklen Seiten der Nacht,
und die Vorahnung des Todes
überkommt dich.
»Bisher noch nicht«, sagte der Mann, das Gesicht von der dicken Bettdecke fast gänzlich verdeckt. Obgleich der Alte undeutlich sprach, verstand Jim jedes Wort. Wahrscheinlich aber auch aus dem Grund, weil er mit der Antwort gerechnet hatte. Schließlich hatte er dem Alten zum x-ten Mal dieselbe Frage gestellt, und seit einem halben Jahr nun bekam er immer die gleiche Antwort.
Jim schüttelte langsam den Kopf und sah auf das Glas, in dem zwei Zahnprothesen, untere und obere, im Wasser lagen. »War denn der Zahnarzt heute da?«
Wieder verneinte der Alte. »Vielleicht kommt er ja noch«, beeilte er sich dann, zu sagen.
Jim lächelte, guckte auf seine Armbanduhr und winkte ab. »Bestimmt nicht, Mister Freed, schließlich haben wir schon elf Uhr abends. Aber jetzt nehmen Sie erst mal Ihre Nachtmedizin.« Er nahm die kleine, runde Tablette aus dem auf dem Nachtschrank bereitgestellten Döschen und schob sie in den zahnlosen Mund des Bettlägerigen. Dann reichte er ihm ein Glas Wasser.
Dankend nickte Freed und spülte die Pille hinunter. »Eine ruhige Wache noch, Jim«, sagte er.
»Ja, danke.« Jim strich dem Alten zärtlich über die Wange. »Und Ihnen eine gute Nacht!« Er knipste die kleine Lampe oberhalb des Bettendes aus und verließ das Zimmer.
Als Jim kurz nach Mitternacht das Stationszimmer wieder betrat, schenkte er sich eine Tasse Kaffee ein und setzte sich an den Tisch. Da sah er den Brief, der bei seinen Schreibsachen lag.
Mister Jonathan Freed, las er lautlos und warf einen Blick auf das Regal hinter sich, in dem die Post für die Bewohner des Altenheims gesammelt wurde, bis sie – meist an die Angehörigen – weitergegeben wurde.
Jim grinste. Jonathan, der Name passte zu dem Alten!
Plötzlich stockte er. Der Brief hatte weder eine richtige Anschrift noch einen Absender.
Alles, was Jim erkennen konnte, war, dass der Brief aus Stormy Hill in Schottland kam. Wie aber war dieser hergekommen? Und dann auch noch an die richtige Adresse? Mochte ein Bekannter Freeds, der in Stormy Hill gewesen war, ihn mitgebracht haben?
»Halt, Moment mal!«, brauste Jim an sich