Alina und das Robbenbaby
Ich liebe es, nach Feierabend für einen Moment auf dem Deich zu sitzen, die salzige Seeluft einzuatmen und den kleinen, weißen Segelbooten am Horizont zuzusehen. Manchmal kommt Sven dazu, der Chef der Seehundstation, die direkt hinter meinem Strandkorbverleih liegt. Sven ist wie ein Lieblingspulli. Er umhüllt mich mit seiner Wärme und gibt mir Geborgenheit und auch wenn er nach all den Jahren eigentlich in die Altkleidersammlung gehörte, könnte ich mich jedoch nie von ihm trennen.
Ein Segelboot am Horizont wird immer größer und ich erkenne Hinnerks lustige Seeräuberflagge.
„Na, Alina, schaust du wieder dem Piraten zu?“, fragt mich ein Passant.
Ich fühle mich ertappt, Hitze krabbelt langsam meine Wangen hoch und bringt sie zum Glühen. Seit einer Ewigkeit bin ich in Hinnerk verliebt.
„Ja, um diese Uhrzeit hat Hinnerk Schnuppersegler an Bord.“ Verträumt male ich mit einem Stock Kreise in den Sand. „Ich kenne den Fahrplan der Calypso.“ Ich wende mich wieder dem Segelboot zu. Ich habe immer die gleiche Vision: Hinnerk und ich segeln mit unseren zwei Kindern in die Abendsonne hinein. Wie gerne hätte ich wieder eine Familie, an meine kann ich mich kaum erinnern.
„Und wann gehst du mal mit ihm segeln?“
Darauf will ich eigentlich gar nicht antworten, trotzdem drehe ich mich zu ihm um: „Ich würde ja gerne, aber man geht doch nicht segeln, wenn man nicht schwimmen kann!“
Plötzlich zieht ein kleiner Tumult unten am Wasser meine Aufmerksamkeit auf sich. Ich stehe auf, um besser sehen zu können.
„Alina, Hilfe, schnell, da ist ein Robbenbaby gestrandet.“ Zwei Nachbarmädchen aus unserem Ort rennen auf mich zu, nehmen meine Hände und ziehen mich runter an den Strand.
„Na dann los …“ Entschuldigend drehe ich mich nochmal um, dankbar für das Ende dieser Schwafelei. Das heisere Heulen des Robbenbabys klingt erschöpft und herzzerreißend. Es liegt allein auf der Sandbank und scheint seine Mutter verloren zu haben. Der Priel