1Was ist persönliche Verantwortung?
In den USA ist persönliche Verantwortung im Gesetz verankert:
»The Personal Responsibility and Work Opportunity Reconciliation Act of 1996« (PRWORA) heißt das Gesetz, das der damalige Präsident Bill Clinton im Zuge seiner Sozialreform unterzeichnet hat. Es hat folgenden Inhalt:
- Das Ende des dauerhaften Anspruchs auf Sozialhilfe;
- Sozialhilfeempfänger müssen nach spätestens zwei Jahren Unterstützung wieder arbeiten;
- jeder bezieht maximal fünf Lebensjahre Unterstützung aus Bundesmitteln;
- das Bestreben, Familien mit zwei Elternteilen zu fördern und Familienkonstellationen mit unehelichen Kindern schlechter zu stellen;
- das bessere Durchsetzen von Unterhaltszahlungen;
- illegalen Einwanderern werden Lizenzen, die Bundesstaaten für bestimmte Berufe ausgeben, verweigert.1
Nicht nur Gesetzgeber versuchen ihr Wunschbild von Verantwortung auf andere zu übertragen. Trotzdem wird man niemanden dazu zwingen können, in die Verantwortung zu gehen und aus ihr heraus zu handeln. Es ist eine Wahl, die man persönlich trifft. Das ist das Spannende an persönlicher Verantwortung. Es geht um die eigene Geisteshaltung, die eigene Wahrnehmung von Ursache und Wirkung und wie wir damit umgehen – wir in uns und wir mit anderen.
In diesem und dem nächsten Kapitel werden wir uns zunächst mit der Komplexität von persönlicher Verantwortung auseinandersetzen, bevor wir uns anschließend mit den Werkzeugen zum Anwenden und Beherrschen von Verantwortung beschäftigen. Für die Grundlagen betrachten wir in diesem Kapitel ein Stück Zivilisationsgeschichte, um aus den unterschiedlichen Perspektiven wie Philosophie, Religion, Psychologie, Literatur und Politik einen Blick auf den Umgang mit Verantwortung zu werfen. Dabei geht es nicht um eine umfassende historische Auswertung; mein Ziel ist, über Beispiele aus der Geschichte deine persönliche Auseinandersetzung mit dem Thema anzuregen.
Wenn wir uns Verantwortung im Verlauf der Geschichte ansehen, stehen sich immer wiederWillensfreiheit undDeterminismus gegenüber. Diese nicht endende Kontroverse offenbart das Spannungsfeld, in dem sich jeder von uns befindet: Wie gehe ich mit dem Übernehmen oder Ablehnen von Verantwortung um, welche Glaubenssätze stecken dahinter und was bedeuten diese für meinen Blick auf Menschen generell und auf mich selbst.
Es geht um die Diskrepanz zwischen kraftvoll und schwach, frei und unfrei, selbstbestimmt und fremdbestimmt. Diese Debatte findet sich nicht nur in Philosophie, Psychologie, Religion oder Politik wieder, sondern auch bei Themen wie Leadership, Erziehung, Lehre, Polizeiarbeit oder Strafvollzug.
Seit dem 6. Jahrhundert v. Chr. debattieren Philosophen über den freien Willen im Gegensatz zum Determinismus. In der Religion geht es um die Frage, ob Gott unseren Lebensweg vorgibt oder uns einen freien Willen zugesteht. Ähnliche Fragen stellen sich in der Psychologie: Genetik und Umfeld beeinflussen unsere Persönlichkeit in hohem Maße, gleichzeitig wird der Willenskraft eine große Bedeutung beigemessen. In der Politik stehen sich Macht und persönliche Freiheit gegenüber, Fürsorgepflicht und Eigenverantwortung. Und das Ausführen von Gesetzen sorgt für nicht enden wollende Kämpfe und Tragödien in Amtszimmern und Gerichtssälen. Führungskräfte, Lehrkräfte und Eltern fragen sich immer wieder, wie viel sie für ihre Schützlinge mitdenken, entscheiden oder regeln sollen und wie viel Verantwortung diese selbst übernehmen sollen, können oder dürfen.