»Der Puls ist kaum noch fühlbar, und der Blutdruck ist wirklich extrem niedrig«, stellte Dr. Norden fest und blickte besorgt in das blasse Gesicht der Notfallpatientin, die vor knapp zehn Minuten mit dem Rettungshubschrauber eingeflogen worden war. Wie sie so reglos dalag, wirkte sie fast, als wäre sie tot.
»Sie darf nicht sterben. Sie ist doch noch so jung«, sagte Schwester Anna mitfühlend.
Dr. Norden nickte stumm.
Auch ihm tat die junge Frau leid.
Sie hieß Karin Winter und war noch keine dreißig Jahre alt.
Ihr Mann Thomas und sie waren in der Nähe des Ammersees mit dem Auto unterwegs gewesen, als aus unerfindlichen Gründen plötzlich der rechte Vorderreifen ihres Autos geplatzt war. Der Wagen war von der Straße abgekommen, hatte sich mehrfach überschlagen und war schließlich gegen einen Baum geprallt. Thomas, der am Steuer gesessen hatte, war sofort tot gewesen. Für ihn war jede Hilfe zu spät gekommen …
Schwester Anna richtete ihre Augen fragend auf Dr. Norden. »CT? MRT?«, erkundigte sie sich.
»Ja, beides«, gab Dr. Norden zurück. »Der Verdacht auf Schädel-Hirn-Trauma als vorläufige Diagnose ist mit Sicherheit richtig. Außerdem ich bin überzeugt, dass bei Frau Winter zudem eine massive Gehirnblutung vorliegt. Ich gehe davon aus, dass sie sofort notoperiert werden muss, um eine dauerhafte Schädigung ihres Gehirns zu verhindern.«
Während Dr. Norden alles Notwendige veranlasste und Karin Winter zu den weiteren Untersuchungen gebracht wurde, holte Schwester Anna bereits den nächsten Patienten aus dem Wartezimmer der Notaufnahme.
Es handelte sich um einen älteren Herrn, der bei der Arbeit in seinem Schrebergarten von der Leiter gefallen war und sich dabei die Schulter verletzt hatte. Er wurde von seiner Frau begleitet, die den Hergang des Sturzes detailgenau schilderte, wobei sie ihren Mann immer wieder mit vorwurfsvollen Blicken bedachte und erklärte, dass er sein Alter einfach nicht wahrhaben wolle und in dem Wahn lebe, immer noch in seinen Zwanzigern zu sein.
Dr. Norden untersuchte den älteren Herrn.
Er stellte fest, dass die Schulter mit großer Wahrscheinlichkeit nur geprellt und nicht gebrochen war, schickte den Patienten aber trotzdem sicherheitshalber zum Röntgen.
Die Frau bedankte sich wortreich bei Dr. Norden, doch es fiel ihm schwer, ihrem Redeschwall zu folgen.
Immer wieder kehrten seine Gedanken zu Karin Winter zurück.
Wie würde sie es aufnehmen, wenn sie aus ihrer Bewusstlosigkeit erwachte und erfahren musste, dass sie bei dem Unfall ihren Mann verloren hatte?
»Im Wartezimmer sind nur noch zwei Patienten«, riss Schwester Anna Dr. Norden schließlich aus seinen Gedanken. »Ein Jogger, der von einem Hund gebissen wurde, und eine Hausfrau, die sich beim Kochen verbrüht hat. Soll ich zuerst den Jogger oder zuerst die Frau hereinholen? Eigentlich würden beide nämlich schon in Dr. Ganschows Schicht fallen. Dr. Ganschow ist auch bereits da und …«
Weiter kam Schwester Anna nicht, denn das Heulen des Martinshorns brachte sie zum Schweigen.
Wenig später betraten gleichzeit