1. KAPITEL
Das passierte gerade doch nicht wirklich.
Es kommt bestimmt gleich, es muss einfach! Claire stand alleine vor dem stillstehenden Gepäckkarussell, auf dem kein einziger Koffer mehr kreiste. Panik erfasste sie. Wo war das Brautkleid ihrer besten Freundin?
Reiß dich zusammen, Claire Stewart, ermahnte sie sich, und such jemanden, der dir weiterhelfen kann.
Sie ergriff ihren Koffer und den großen Kleidersack mit ihrem Brautjungfernkleid und marschierte zum nächsten Schalter. Vielleicht war die Schachtel ja lediglich auf einem falschen Karussell gelandet und wartete nur darauf, abgeholt zu werden.
Eine halbe Stunde später stand fest, dass das Kleid irgendwo zwischen London und Neapel verschwunden war – das Kleid, das sie in mühevoller Handarbeit mit winzigen Perlen bestickt hatte. Das Kleid, in dem ihre beste Freundin in zwei Tagen auf Capri heiraten wollte.
Das war vielleicht nur ein Albtraum! Bestimmt wachte sie gleich auf. Verstohlen kniff sie sich in den Arm. Es tat weh.Oh, nein! Offenbar war sie tatsächlich in Neapel mit ihrem Gepäck, ihrem Brautjungfernkleid … und keinem Brautkleid.
Sie suchte sich eine ruhige Ecke, holte ihr Handy hervor und wählte Ashleighs Nummer. Der Anruf wurde direkt auf die Mailbox umgeleitet. Dies war definitiv keine Nachricht für den Anrufbeantworter. Sie versuchte ihr Glück bei Ashleighs Verlobtem Luke – vergebens. Claire sah auf die Uhr. Es war früh am Morgen, die beiden saßen vermutlich beim Frühstück und hatten ihre Handys auf dem Zimmer gelassen. Wen konnte sie sonst noch anrufen? Die Nummer von Lukes Trauzeugen Tom hatte sie nicht, und Sammy, ihre andere beste Freundin, die die Hochzeit fotografieren würde, reiste erst am nächsten Tag aus New York an. Die restlichen Hochzeitsgäste würden erst am Morgen der Hochzeit ankommen.
Somit blieb nur Ashleighs Bruder übrig. Der Mann, der Ashleigh zum Altar führen würde. Der Mann, der sich bei allem penibel an die Regeln hielt – im Gegensatz zu Claire. Er war der Letzte, an den sie sich mit ihrem Problem wenden wollte. Aber er war auch noch nicht auf Capri eingetroffen. Ihr blieb also noch Zeit, alles wiedergutzumachen. Sie brauchte nur einen Plan.
Nein, was sie bitternötig hatte, war eine Tasse Kaffee! In den vergangenen Wochen hatte sie nicht nur rund um die Uhr an Ashleighs Brautkleid genäht, sondern obendrein an einer Kollektion für eine Modenschau auf einer großen Hochzeitsmesse. Sie war kaum zum Schlafen gekommen, und nach dem frühen Flug nach Neapel fühlte sie sich jetzt ganz benommen.
Einen Espresso mit drei Stück Zucker später hatte Claire endlich einen Plan entworfen. Sie würde hin und her fliegen müssen, doch das war ihr egal. Ashleigh war viel mehr als nur ihre beste Freundin. Claire empfand für sie wie für eine Schwester – und würde für sie über glühende Kohlen laufen!
Sie griff nach ihrem Handy und wählte erneut Ashleighs Nummer