1. KAPITEL
„Autsch.“
Dem Schmerzenslaut folgte ein leiser Fluch. Bei ihrem letzten Weg über den Hals hatte die Klinge des Nassrasierers die Haut geritzt. Ein kleiner roter Tropfen erschien.
Ich muss vorsichtiger sein, ermahnte er sich.
Er unterdrückte einen weiteren Fluch, spritzte sich Wasser auf die Wunde und wartete darauf, dass sie sich schloss.
Mit den Händen auf das kleine Waschbecken gestützt, starrte Mark Banning in den schlichten Spiegel. Das Glas war noch ein wenig beschlagen vom Duschen, aber klar genug, um die Narbe zu erkennen, auf die sein Blick wie immer von selbst fiel. Die Narbe, die ihn immer wieder fest in der Realität verankerte.
Seit fünf Jahren hatte er diese Narbe nun schon. Sicher, es gab viele plastische Chirurgen, die sie beseitigen könnten, die die Haut unter seinem rechten Auge modellieren und glätten könnten, bis ihre Taschen voll und die Narbe nur noch eine gezackte Erinnerung war. Nick hatte ihm ein paar Prospekte gegeben, die er bei einigen der vielen in San Francisco ansässigen Schönheitschirurgen eingesammelt hatte.
Mark war nicht sicher, ob er seinem jüngeren Bruder dafür gedankt hatte. Vermutlich nicht. Zwischen ihnen ging es oft wortlos zu.
Jedenfalls hätte Nick sich die Mühe sparen können, denn Mark wollte die Narbe gar nicht loswerden. Sie sorgte für Abstand zu seinen Mitmenschen und bewahrte ihn davor, in eine Welt hineingezogen zu werden, in der er nichts verloren hatte. Eine Welt, die ihm nichts als Enttäuschungen bescheren würde.
Außerdem war die Narbe ein Symbol. Und das nicht nur für das Messer, das ihn in New York getroffen hatte. Sie stand für alle unsichtbaren Narben, die das Leben ihm geschlagen hatte. Die Narben, die durch keine Operation zu beseitigen waren.
Die letzte hatte ihm den Rest gegeben. Er war nach Hause gekommen und hatte Dana gefunden. Der schlimmste und letzte Schub ihrer schon so lange anhaltenden Depressionen hatte seine Frau dazu gebracht, sich das Leben zu nehmen. Er hatte ihre Leiche in den Armen gehalten und gespürt, wie in ihm jede Hoffnung auf Glück unwiederbringlich erlosch.
Mark drehte das Wasser ab und starrte auf die Narbe. Auf das Gesicht eines Mannes, aus dem wenig mehr als eine leere Hülle geworden war.
An jenem Tag hatte er sich endgültig damit abgefunden, dass er einfach nicht dazu bestimmt war, glücklich zu werden. Bis dahin war sein Leben die Hölle gewesen. Mit kaum zehn Jahren hatte er mit ansehen müssen, wie seine Eltern vor einem Restaurant erschossen wurden. Es hatte ihm die Kindheit geraubt, ihn vorzeitig älter und ernster gemacht und ihn mit einem Verantwortungsgefühl erfüllt, für das er noch viel zu jung war.
Aber er war der Ältere, wenn auch nur um ein Jahr. Sein Bruder Nick brauchte jemanden, auf den er sich verlassen konnte, selbst nachdem man sie getrennt und in verschiedene Pflegefamilien gesteckt hatte.
Also musste er stark sein, auch wenn er keine Kraft mehr besaß.
Nick war der Grund, aus dem er etwas aus sich machte.
Und dann änderte sich plötzlich alles. Zum Besseren. Wenigstens für eine Weile.
Noch auf dem College lernte er Dana Dean kennen. Die schöne, abenteuerlustige, ehrgeizige, wunderbare Dana, die ihn glauben ließ, dass es für ihn doch so etwas wie Glück gab.
Also heiratete er sie.
Das tat man, wenn man glaubte, eine verwandte Seele gefunden zu haben. Er zog mit Dana nach New York, denn sie träumte davon, eines Tages ein Star am Broadway zu sein.
Sie glaubte fest daran, dass sie als Schauspielerin schnell Karriere machen und es über Nacht zum Weltruhm bringen würde. Doch dann häuften sich die Absagen, und sie zog sich immer mehr in sich selbst zurück. Und vor der Welt. Vor ihm.
Als sie ihren Teilzeitjob aufgab, übernahm er Doppelschichten bei der Polizei, um seine Frau nicht durch Geldsorgen noch mehr zu belasten. Er wollte ihr die Chance geben, ihre hochgesteckten Ziele zu verfolgen.
Sie wurde immer zorniger und depressiver. Er dachte, dass so etwas normal war, wenn eine Schauspielerin ihre Gefühle nicht auf der Bühne oder vor der Kamera ausleben konnte. Er war sicher, dass sie irgendwann, wenn ihr Traum sich