1. KAPITEL
Mit einem unterdrückten Fluch legte Zoey die Straßenkarte auf der Motorhaube ihres Wagens ab, dessen Lüftung lautstark brummte. Während sie das Papier mit einer Hand glatt strich, versuchte sie, mit der anderen zu verhindern, dass der frische Wind, der von Osten her wehte, es davonblies.
Ohne Karte, das wusste sie genau, wäre sie vollkommen aufgeschmissen. Fast wünschte sie sich eines dieser albernen Smartphones herbei – mit GPS, Routenplaner-Funktion und allem Drum und Dran. Doch dann musste sie an ihren Vater denken und daran, wie er wohl auf ein solches Ansinnen reagiert hätte. Sie konnte beinahe hören, wie er mit abfälliger Stimme sagte: „Immer diese technischen Spielereien … Bist du wirklich zu faul, eine richtige Karte zu lesen? Was haben deine Mutter und ich bei deiner Erziehung bloß falsch gemacht?“
Rasch fegte sie den Gedanken beiseite. Stattdessen schaute sie sich nach irgendetwas um, an dem sie ihren gegenwärtigen Standpunkt festmachen konnte. Sie stand mit ihrem Wagen an einer Wegkreuzung, die etwas erhöht auf einer Hügelkuppe lag, und ringsum fiel das Land sanft ab. Es war ein herrlicher Ausblick, zweifellos. Weite Weinberge, goldene Kornfelder und grüne Weiden, auf denen Schafherden grasten. Dunkle Wäldchen und im Sonnenschein glitzernde Weiher durchbrachen hier und da die Gleichförmigkeit der Landschaft.
Zoey riss sich von dem Anblick los. Sie befand sich an einem wunderschönen Ort mitten in der Champagne, ja – aber keineswegs zu ihrem Vergnügen und auch nicht, um die Natur zu genießen. Ein Auftrag hatte sie nach Frankreich geführt. Ein Auftrag, der die Chance darstellte, auf die sie so lange gewartet hatte. Wenn sie hier in der Champagne also alles richtig machte, konnte sie die Fehler der Vergangenheit endlich hinter sich lassen und allen zeigen, dass sie gut war in dem, was sie tat.
Allen voran ihrem Vater und ihrem Ex Michael …
Sie schaute zurück auf ihre Karte, was sie jedoch nicht weiterbrachte. Fluchend knüllte sie sie zusammen und warf sie durch das geöffnete Seitenfenster ins Wageninnere. Sie war so in Gedanken versunken, dass sie das laute Tuckern des sich nähernden Traktors erst registrierte, als er schon fast bei ihr angelangt war. Sie schaute auf, trat auf die Straße und winkte dem Traktorfahrer zu.
„Hey“, rief sie. „Anhalten, bitte … äh …“ Sie kramte in ihrer Erinnerung nach den wenigen Französisch-Vokabeln, die sie in der sechsten Klasse gelernt hatte. Schließlich hatte sie einen Geistesblitz.„Arrêter, s’il vous plaît.“
Das Tuckern des Motors verklang, und der Trecker stoppte. Waren die Lektionen von Mademoiselle Cachard also doch nicht ganz umsonst gewesen?
Erleichtert trat Zoey an das Gefährt heran, dessen riesige Hinterräder sie fast überragten – was nicht sonderlich verwunderlich war, da sie lediglich zierliche eins achtundfünfzig maß. Mit einem, wie sie hoffte, einnehmenden Lächeln blickte sie zu dem älteren Mann auf, der am Steuer des Traktors saß.„Bonjour!“
Als er ihr Lächeln erwiderte, entblößte der Landwirt eine Reihe unregelmäßiger gelber Zähne und fing an, in schnellem Französisch auf sie einzureden.
Hilflos schaute Zoey ihn